Energiewende und Strompreisexplosion/die Transformation der Stahlbranche

02.11.2021 enexion

Am Donnerstag, den 7.10.2021 war es so weit. Der Börsenstrompreis lag um 19:00 Uhr bei 442€/MWh. Damit wurde ein Strompreis-Höchststand erreicht. Ein Preis, den vor einigen Wochen und Monaten niemand für möglich gehalten hätte.

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Zwar wurde dieser Preis nur für eine Stunde aufgerufen. Es ist damit gleichwohl der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die sich seit geraumer Zeit abzeichnet.

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Man erkennt auf dem Chart ganz rechts, dass einige Tage vor dem Strompreishöhepunkt auch – wieder mal- Strom von Deutschland verschenkt wurde. Am Sonntag, den 3.10.2021 war die regenerative Stromerzeugung in Verbindung mit geringem Bedarf so stark, dass auch ein Herunterfahren der konventionellen Stromversorgung auf das wegen der Netzstabilität unbedingt notwendige Minimum von knapp 20 GW nicht verhindern konnte, dass der erzeugte Strom verschenkt werden musste. Erst ab 14:00 Uhr wurde der Strom wieder „verkauft“. Wenn auch nur für magere 10€/MWh. Zum späten Nachmittag, zum Abend hin fuhren die Konventionellen die Kraftwerke wieder hoch. Sie wissen schließlich, dass der Bedarf in etwa gleichbleibt, insbesondere natürlicherweise die PV-Stromerzeugung nachlässt, und deshalb zum Vorabend/Abend auch am Sonntag gute Geschäfte zu machen sind.

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Auch die Politik hat erkannt, dass der Industriesektor ein wesentlicher Faktor für das Gelingen der Energiewende ist. Diese Erkenntnis ´schwappt` dann selbstverständlich auf die Institutionen über, die sich mit Energie, insbesondere Strom beschäftigen. Agora-Energiewende zum Beispiel hat sogar eine  neue  Marke „Agora-Industrie“ gegründet, mit der „ein fachübergreifendes Team an Strategien und Politikinstrumenten für den Umbau der Stahl-, Chemie- und Zementindustrie zur Klimaneutralität “ arbeitet. Agora hat erkannt, dass „die Herausforderungen der Transformation der Industrie als weltweit größte CO₂-Emittentin mit globalen Wertschöpfungsketten“ zentrales Thema bei der Umsetzung der weltweiten Energiewende sein wird.

Die erste Publikation der Marke Agora-Industrie befasst sich mit der Transformation der Stahlbranche. Gut 35 Mio Tonnen Stahl wurden 2020 in Deutschland hergestellt. Knapp 1,9 Mrd. Tonnen Stahl waren es weltweit. Auf China entfällt dabei mit gut einer Mrd. Tonnen über die Hälfte der weltweiten Stahlproduktion. Wir erwähnen dies, weil Deutschland im Stahlbereich kaum eine Rolle beim CO2-Ausstoß spielt. Fielen die 35 Mio. Tonnen (=1,84% der weltweiten Erzeugung) weg, würde das auf das Klima praktisch keine Auswirkungen haben. Dennoch ist es sicher sinnvoll, im Bereich „Grüner Stahl“ Forschung zu betreiben. Ein Leuchtturmprojekt ist die Direktreduktionsanlage, welche aktuell in Salzgitter im Rahmen des Projekts Salcos der Salzgitter-AG erstellt wird. Ab dem ersten Halbjahr 2022 soll die Produktion mit der μDral genannten Anlage beginnen. Zur Einsparung von Einblaskohle wird dabei zunächst das direkt reduzierte Eisen im Hochofenprozess und im Elektrolichtbogenofen des Werkes Peine eingesetzt. Die Anlage hat eine Produktionskapazität von 2.500 kg pro Tag, wobei Erdgas und Wasserstoff in beliebigen Mischungsverhältnissen oder auch rein eingesetzt werden können Quelle.

Der Knackpunkt wird der „grüne Wasserstoff“ sein, der benötigt wird, um tatsächlich CO2-armen Stahl herzustellen. Pikant ist, das lt. EU Wasserstoff nur dann als „Grün“ gilt, wenn er aus Strom hergestellt wird, der aus Windparks kommt, die speziell für die Wasserstofferzeugung gebaut wurden. Oder aber aus Kernkraftwerken. Der Strom, der zur allgemeinen Stromversorgung mit Wind- und PV-Anlagen hergestellt wird, soll auch genau da verwendet werden. Damit soll die Kannibalisierung der allgemeinen Stromversorgung verhindert werden. Denn womöglich würden die Wasserstoffhersteller mit ihrem gewaltigen Bedarf den Ökostrommarkt leerkaufen. Damit wird ein weiteres Problem sichtbar. Immer dann, wenn Strom – sei es zur Wasserstofferzeugung oder zum Betanken eines neu gekauften Autos – vom Stromnetz „abgezweigt“ wird, muss die entstehende Lücke geschlossen werden. Mit fossil erzeugtem Strom. Denn der Bedarf steigt. Was noch lange nicht bedeutet, dass die regenerative Stromerzeugung entsprechend steigt. Im Gegenteil. Dieser Strom wurde und wird mit Vorrang ins Netz eingespeist und ist damit praktisch „weg“. Auch die Verwendung spezieller, extra zur Wasserstoffherstellung gebaute grüne Stromerzeuger lösen das Problem nicht wirklich. Auch dieser Strom wird dem allgemeinen Netz vorenthalten. Entsprechend mehr fossiler Strom muss deshalb hergestellt werden.

Ein gewaltiges zusätzliches Problem liegt im starken Preisanstieg für Strom. Wasserstoffherstellung benötigt viel Energie. Etwa 50% machen Herstellung, Lagerung, Transport aus. Eine teilweise Rückwandlung in Strom kostet nochmals etwa 50% der verbleibenden Energie. Bei den aktuellen Strompreisen werden die Vorhaben für die Industrie immer unbezahlbarer. Auch deshalb schlägt Agora-Industrie Klimaschutz-Verträge vor, die die Unternehmen wirtschaftlich weitgehend so stellen, als würden sie ihren Stahl herkömmlich erzeugen. Agora-Industrie setzt das Ziel, dass Deutschland bis zum Jahr 2030 etwa ein Drittel = 12 Mio Tonnen Stahl „grün“ erzeugt. Dies sei nötig, um die Klimaneutralität Deutschlands bis 2045 zu realisieren. Etwas anders sieht es, etwas realistischer sieht es die “ worldsteel association. In its 2020 technology roadmap, the InternationalEnergy Agency (IEA) suggests that under its ‘Sustainable Development Scenario’ (SDS) scenario, green hydrogen is introduced as a primary reducing agent at a commercial scale in the mid-2030s. Use expands to 12 Mt per year by 2050. While this represents a fast scale up and deployment of a new technology, the IEA’s modelling suggests that by 2050 under 8% of total steel production will rely on
electrolytic hydrogen as the primary reducing agent (or 14% of primary production) Quelle.“

Die Zusammenfassung der Agenda von Agora-Industrie sieht so aus

Quelle

Mit steigenden Energiepreisen wird der kalkulierte Finanzbedarf ebenfalls steigen. Mit fallenden Preisen ist zumindest im Bereich Strom kaum zu rechnen. Das Abschalten der letzten sechs Kernkraftblöcke bis Ende 2022, das Vorantreiben des Kohleausstiegs führen zu einer künstlichen Verknappung von Strom. Die Nachfrage hingegen wird steigen. Es steht zu befürchten, dass bei wenig Wind- und PV-Stromerzeugung gewollte, weil notwendige Abschaltungen nicht nur bei der stromintensiven Industrie, sondern auch im Stromkunden-Normalbereich stattfinden werden.

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