Energiewende und Virtuelle Kraftwerke

09.06.2020 enexion

Ein wesentliches Merkmal der Energiewende ist die Dezentralisierung der Stromerzeugung. Millionen einzelne Stromerzeuger, davon die meisten Solaranlagen, plus über 30.000 Windkraftanlagen erzeugen je nach Wetterlage in den einzelnen Regionen Deutschlands Strom, oder auch nicht, oder nicht genug. Da gibt es eine Menge Koordinationsbedarf, um den erzeugten Strom zum Kunden zu transportieren. Pfiffige Unternehmer haben bereits früh erkannt, dass mittels regenerativer Energieträger erzeugter Strom – Biomasse und Wasserkraft ausgenommen – unregelmäßig, d. h. höchst volatil erzeugt wird. Da ist es sinnvoll, die verschiedenen Stromerzeuger ´zusammenzufassen` und immer dann, wenn Strom benötigt wird, diese Stromerzeuger so zu schalten, dass dieser möglichst kontinuierlich und bedarfsgerecht fließt. Herzstück dieser Idee waren ursprünglich Blockheizkraftwerke (BHKW), die mittels Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) neben Wärme auch Strom erzeugen bzw. die bei der Stromerzeugung entstehende Wärme verfügbar machen. Energieträger ist in aller Regel Gas. Es können aber auch Holzpellets oder andere verlässlich verfügbare Energieträger sein. So kann mittels der vielen im virtuellen Kraftwerk zusammengefassten BHKW genau dann Strom produziert und geliefert werden, wenn Wind- und /oder Photovoltaikstrom gar nicht oder in nicht ausreichendem Umfang zur Verfügung stehen. Heute ergänzen Notstromaggregate, Biogasanlagen und andere Stromerzeuger das „Virtuelle Kraftwerk“, dessen Aufgabe es ist, mittels ausgeklügelter Software die Vielzahl der verschiedenen Stromerzeuger so zu koordinieren, dass eine kontinuierliche bedarfsgerechte Stromerzeugung möglich wird. Das gelingt so hervorragend, dass sogar die zwecks Aufrechterhaltung des Stromnetzes immer zu bevorratende Regelenergie angeboten werden kann. Wobei es eine Selbstverständlichkeit ist, dass das virtuelle Kraftwerk emissionsfrei ist. Denn es erzeugt selbst eben keinen Strom, sondern es koordiniert diverse Stromerzeuger, die aber durchaus – wie z. B. Blockheizkraftwerke – diverse Abgase emittieren. Es kommt also darauf an, welche Energieträger zur Stromerzeugung eingesetzt werden (können). Deshalb ist die Aussage des Chefs von Nextkraftwerke, ein Unternehmen, welches ein virtuelles Kraftwerk mit etwa 9.000 vernetzten Anlagen betreibt, irreführend: Das virtuelle Kraftwerk übernimmt ähnliche Verantwortung im Stromnetz wie ein konventionelles – und ist dazu emissionsfrei*. So wird vorgegaukelt, dass virtuelle Kraftwerke 100 % konform zur Energiewende seien. Sind sie aber nicht. Im Falle eines Falles wird eben auch fossiler Brennstoff verstromt. Oder, wenn alle Stricke reißen, wird der Stromverbraucher sogar abgeschaltet: Geht mal kein Wind, kann das virtuelle Kraftwerk Strom aus Photovoltaikanlagen ziehen – oder umgekehrt. Geht beides nicht, fährt es Biogasanlagen hoch oder Stromverbraucher herunter.*

… fährt es … Stromverbraucher herunter. Das ist ein Vorgang, der, wenn er plötzlich und ohne Absprache erfolgt, auch Blackout genannt wird. Abschaltung ist zwar kein unkontrollierter Blackout, sondern sind gesteuerte Lastabwürfe zwecks Vermeidung von Schlimmeren. In England gab es solch einen Vorfall im August vergangenen Jahres. Der Vorfall belegt eindrucksvoll die Komplexität der Steuerung diverser Stromerzeuger und Kraftwerke. Für den Stromkunden bedeutet eine Abschaltung immer Ungewissheit und wachsendes Unbehagen. Er weiß schließlich nicht, wie lange der Stromausfall dauern wird. Bei längerer Dauer muss er all´ die Folgen tragen, die ein Blackout Zug-um-Zug mit sich bringt. Immerhin, es wird zugegeben, dass auch bei virtuellen Kraftwerken Abschaltungen möglich sind. Da ist der Schritt zur gewollten Abschaltung ohne Not nicht weit. Betreiber virtueller Kraftwerke könnten angehalten werden, ausschließlich Strom aus regenerativen Energieträgern in das Stromnetz einzuspeisen. Die konventionellen Reserven werden aus klimapolitischen Gründen nicht genutzt. Stattdessen wird der erzeugte Strom zugeteilt. Die flächendeckende Ausstattung der Stromkunden mit Smartmetern stockt zwar noch, wird aber ganz sicher in den nächsten Jahren vollzogen werden. Bleibt abzuwarten, wie sich die klimapolitische Landschaft entwickelt. Im Artikel der Wirtschaftswoche jedenfalls wird überwiegend der Eindruck erweckt, dass virtuelle Kraftwerke zwar nicht die Retter, aber immerhin hervorragende Unterstützer der Energiewende seien. So suggeriert der Titel Unmengen regenerativ erzeugten Stroms: NEUE ENERGIE – So viel Strom wie 50 Atommeiler*. Im Text kommt Licht in´ s Dunkel des Aufmachers: Wir wollen das ganze Potenzial ausschöpfen. Das liegt im Privatbereich“, sagt er: Die 1,7 Millionen deutschen Solaranlagen, der Großteil von ihnen auf Privathäusern, könnten insgesamt 50 Gigawatt erzeugen, also so viel wie 50 Atomkraftwerke*. Leser unserer Kolumne wissen, dass es einen gewaltigen Unterschied zwischen der installierten Leistung einer Photovoltaikanlage und dem tatsächlich durch die Anlage erzeugten Strom gibt. Nach den Netto-Zahlen der Energy-Charts** Stand 11.1.2020 lag die installierte Leistung Photovoltaik im Jahr 2019 bei 48,84 Gigawatt (GW) gesamt. Mit dieser installierten Leistung wurden dann aber ´lediglich` 46,54 Terawattstunden (TWh) Energie in Form von Strom erzeugt. Das entspricht 10,88 Prozent der möglichen Energie. Da relativiert sich die Überschrift des Artikels doch erheblich. Dabei handelte es sich bei dem Jahr 2019 durchaus nicht um ein besonders schlechtes für die Photovoltaik. Man erinnere sich an den zweiten Supersommer in Folge.

Wir wollen nicht generell gegen die Erzeugung von Strom mittels Photovoltaik argumentieren. Wie diverse Analysen gezeigt haben, ist Solarkraft eine sinnvolle Ergänzung zum anderen regenerativen Energieträger, der Windkraft. Nur sollten nicht Äpfel mit Birnen verglichen werden. Die verbliebenen Kernkraftwerke des Jahres 2019 erzeugten 71,09 TWh Energie. Bei einer installierten Leistung von 9,52 GW. Was einem Nutzungsgrad von 85, 24 Prozent entspricht. Das ändert nichts an der Tatsache, dass die verbliebenen Kernkraftwerke innerhalb der nächsten 2 Jahre stillgelegt werden.

Next-Kraftwerke, das Virtuelle Beispielkraftwerk des Artikels der Wirtschaftswoche verwaltet und steuert eine installierte Leistung von 7,777 GW. Damit könnten insgesamt 68,11 TWh Energie im Jahr erzeugt werden. Gehandelt wurden durch das Virtuelle Kraftwerk 15,1 TWh. Wir erwähnen dies, damit die Größenverhältnisse eingeordnet werden können. Deutschlands Strombedarf lag 2019 bei 515 TWh netto und 604 TWh brutto. Die installierte Leistung bei gut 210 GW.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass virtuelle Kraftwerke eine gute Geschäftsidee sind. Selbstverständlich muss dezentral erzeugter Strom bedarfsgerecht verteilt und Ertrag bringend vermarktet werden. Egal, ob es sich um regenerativ erzeugten oder konventionell erzeugten Strom handelt. Letzterer ist zur Absicherung des Geschäftsmodells absolut notwendig. Auch wenn die Betreiber das für die Zukunft etwas anders sehen. Diese würde dann aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr eine nachfrage- sondern eine angebotsorientierte Zukunft sein. Ist Strom vorhanden: Gut! Wenn nicht: Abschalten – für Gewerbe und Industrie eine Katastrophe. Den kompletten und wachsenden Strombedarf Deutschlands zu 100 % und zu jeder Zeit mittels regenerativer Energieträger, diversen Stromspeichern, Strom aus Notstromaggregaten, Demand-Side-Management, Power-to-Gas usw., erscheint uns wenig realistisch. Dafür sind die benötigten Energiemengen einfach zu groß. Auch der Rückgriff auf – zwingend erneuerbar erzeugten – Strom aus dem europäischen Ausland hilft wenig weiter. Diese Länder brauchen im Falle eines Falles ihre Energie selber.

*Quelle: Wirtschaftwoche 21, 15.5.2020: Hier klicken

** „Bei der Verwendung von Nettogrößen wird der Eigenverbrauch eines Kraftwerks direkt aus der Bruttostromerzeugung des Kraftwerks versorgt. Die Differenz zwischen Bruttostromerzeugung und Eigenverbrauch ist die Nettostromerzeugung, die in das Netz eingespeist wird. Nach dieser Konvention wird z. B. eine Kohlemühle im Kraftwerk direkt aus der Stromerzeugung des Kraftwerks versorgt und damit ausschließlich mit Braunkohlestrom betrieben. Die komplette Stromwirtschaft rechnet mit Nettogrößen, z.B. für den Stromhandel, die Netzberechnung, Netzauslastung, Kraftwerkseinsatzplanung usw. […]“ Quelle und weiter lesen in den News vom 7.1.2020: Hier klicken // geringfügige Differenzen bei den jeweiligen Werten der Energy-Charts in unseren Charts ergeben sich aus dortigen nachträglichen Veränderungen, auf die wir keinen Einfluss haben.

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