Energiewende & Deutschland – ein halbes Jahr ohne Strom aus Kernenergie

16.11.2023 enexion

Am 15. April 2023 um 24:00 Uhr wurden in Deutschland die drei letzten Kernkraftwerke abgeschaltet. Im Jahr 2022 wurden knapp 33 Terawattstunden (TWh) Strom mittels Kernenergie erzeugt. Praktisch CO2-freier Strom für etwa 9,5 Mio. Haushalte mit einem Durchschnittsverbrauch von 3.500 kWh pro Jahr fiel von einem Tag auf den anderen weg.

Wie hat es Deutschland geschafft, diese Menge Strom zu ersetzen?

Hat das Land konventionell-fossile Kraftwerke in Betrieb genommen? Nein, ganz im Gegenteil, die fossile Stromproduktion per Steinkohle und Braunkohle ist – bezogen auf das Jahr 2022 – sehr stark, die per Gas ist zumindest etwas gesunken (Tabelle 2).  Die Lichter in Deutschland sind ab 16. April 2023 in Deutschland nicht ausgegangen. Von deutschen Energieversorgern wurde über den europäischen Strommarkt die elektrische Energie eingekauft wurde, die zur Versorgung der Bevölkerung, der Industrie, des Handels und Gewerbes notwendig war. Wobei wichtig ist, dass die Strommenge im Stromnetz in jeder Millisekunde dem Bedarf an Strom entsprechen muss. Es gibt die sogenannte ´Regelenergie`, die leichte Schwankungen der Netzfrequenz ausgleicht. Sollte die Regelenergie nicht ausreichen und verändert sich die Netzfrequenz stark über oder unter die Wechselstromfrequenz 50 Hertz, bedeutet das, dass zu viel oder zu wenig Strom im Netz ist. Im Extremfall bricht das Stromnetz zusammen. Es kommt zum gefürchteten Blackout.

Da unsere europäischen Nachbarn den notwendigen Strom bisher – es war Sommer – zur Verfügung stellen konnten, war trotz des endgültigen Ausstiegs aus der Stromerzeugung mittels Kernenergie die Versorgungssicherheit in Deutschland gewährleistet.

Deutschland ist ab 16. April 2023 Netto-Stromimporteur

Deutschland wandelte sich vom langjährigen Netto-Stromexporteur zum dauerhaften Netto-Stromimporteur. Konkret importierte das Land in dem halben Jahr vom 16. April bis zum 15. Oktober 2023 34,5 TWh Strom. Im gleichen Zeitraum exportierte Deutschland 12 TWh Strom. Verbleibt für das halbe Jahr ein Nettoimport von knapp 22,5 TWh Strom. Unter dem Strich kostete der Netto-Stromimport 2,75 Mrd. €. Der mittlere Importstrompreis lag bei 101€/Megawattstunde (MWh). Für den Exportstrom bekamen die deutschen Stromerzeuger einen mittleren Preis von 62€/MWh. Die eigene deutsche Stromerzeugung kostete im Mittel 89€/MWh. Damit war der Importstrom 13% teurer als der in Deutschland selbsterzeugte Strom. Der Exportstrom wurde mit Verlust verkauft. Es wirkt das marktwirtschaftliche Prinzip ´Angebot & Nachfrage`. Hat Deutschland zu viel Strom und muss es ihn verkaufen. Das senkt den Preis. Wenn Deutschland Strom nachfragt, ist es umgekehrt, wie etwas weiter unten zu sehen sein wird.

Tabelle 1

Was im Übrigen gegen die weit verbreitete Aussage spricht, dass Strom von Deutschland wegen des niedrigen Preises importiert wird. Der Börsenstrompreis bildet sich durch Angebot & Nachfrage. Wenn Deutschland Strom benötigt, steigt der Preis. Je mehr Strom Deutschland selbst produziert, desto günstiger wird der Strom. Manchmal geht der Preis sogar in den negativen Bereich. Der Chart zum analysierten Halbjahr belegt das eindrucksvoll.

Quelle

Darüber hinaus belegt der Chart, dass Deutschland praktisch nie so viel regenerativen Strom erzeugt, dass dieser den Bedarf des Landes decken könnte. Vom Speichern überschüssigen Stroms kann keine Rede sein. Das ist aktuell reines Wunschdenken. Fakt ist, dass praktisch jederzeit – von wenigen Stunden abgesehen – fossil erzeugter Strom hinzu produziert werden muss, um den Bedarf Deutschlands zu decken. Oder der fehlende Strom wird importiert.

´Vorteile` des Stromimports

Was würde geschehen, wenn Deutschlands Stromproduzenten den fehlenden Kernenergiestrom selbst erzeugen müssten?

1. Der Ertrag pro MWh würde für die deutschen Stromerzeuger sinken. Jetzt profitieren sie von den hohen Importstrompreisen, die jeder Marktteilnehmer erhält.

2. Es müssten mehr Ressourcen (Brennstoffe) eingesetzt werden, was die Kosten erhöht.

3. Die deutschen Stromerzeuger hätten viel mehr Anpassungsschwierigkeiten an den regenerativen Erzeugungsverlauf, was unter dem Strich den Preis senkt. Jetzt wird importiert, was benötigt wird.

4. Der CO2-Ausstoß Deutschlands würde erheblich steigen. Das produzierte CO2 des Import-Strommix´ bleibt immer im Erzeugerland und wird dem Importland nicht angerechnet.

Stromimport ist für fast alle Beteiligten eine Win-Win-Situation. Jeder verdient gutes Geld. Nur der deutsche Stromkunde zahlt mit die höchsten Strompreise weltweit.

Stromimport wird im Winter weniger werden

Jetzt zum Winter wird sich der Stromimport vermindern. Unsere Nachbarn benötigen den Strom, den sie aus Überkapazitäten in der hellen Jahreszeit für Deutschland erzeugen können, wegen des steigenden Eigenbedarfs selbst. Deshalb hat Deutschland auch bereits Kohlekraftwerke aus der Reserve geholt. Genügend fossile Kraftwerke gibt es in Deutschland. Deren Strom ist im Gegensatz zum Importstrom keinesfalls CO2-frei. Auch nicht rechnerisch.

Stromimporte haben noch weitere, statistische Effekte. Weil der Import-Strommix nicht auf Deutschlands Stromerzeugung angerechnet wird, sinkt die fossile Stromerzeugung. Der regenerativ erzeugte Strom wird weiter wie bisher eingespeist. Dadurch verschiebt sich das Verhältnis zugunsten der „Erneuerbaren“. Deren Anteil steigt prozentual. Der CO2-Anteil der Stromerzeugung sinkt dagegen (Tabelle 2).

© enexion group 2023, nach bestem Wissen und Gewissen, ohne Gewähr

Tabelle 2

Dadurch wird dem Bürger ein Energiewende-Fortschritt vorgegaukelt, der de facto nicht vorhanden ist. Selbstverständlich wird bei der Herstellung des Stroms für den Import CO2 erzeugt. Dieses CO2 taucht in der Rechnung für Deutschland nur nicht auf. Gleichwohl ist es in der Atmosphäre. So wie das CO2, das entsteht, wenn Batterien für Elektro-Autos hergestellt werden, die in Deutschland rechnerisch Null CO2-Ausstoß haben. Was rein politisch motiviert ist. Da ist es bedauerlich, dass die im Betrieb tatsächlich CO2-freien Kernkraftwerke in Deutschland abgeschaltet wurden.

© Rüdiger Stobbe 2023 Alle Werte – im Text zum Teil gerundet – und Berechnungen nach bestem Wissen und Gewissen aber ohne Gewähr

enexion