Energiewende & die Macht des Faktischen – Teil 2

02.02.2024 enexion

„Erneuerbare im Jahr 2023 bei fast 60 Prozent“

 
Der Daten-Journalist Lalon Sander schreibt im NDR-Artikel vom 10.1.2024:

„2023 war ein Rekordjahr für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen. Mit fast 60 Prozent wurde noch nie zuvor so viel Strom nachhaltig produziert, zeigen Daten des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme (ISE). Zugleich sank die Menge an Strom, der aus fossilen Energieträgern gewonnen wird. Und zwar auf ein Niveau der 1960er Jahre. Um die politisch festgelegten Ziele zu erreichen, müsste dieser positive Trend weitergeführt werde. Denn: Bis 2030 sollen 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen produziert werden.“

Die Veränderung der Stromerzeugungskomponenten vom Jahr 2022 zum Jahr 2023 schlüsselt das Fraunhofer-Institut ISE auf:

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Als erstes fällt auf, dass die konventionelle Stromerzeugung nicht nur wegen des Wegfalls der Kernkraftstromerzeugung (-26 TWh) gesunken ist. Gut 47 Terawattstunden (TWh) Braun- und Steinkohlestrom wurden im Jahr 2023 weniger erzeugt als im Jahr 2022. Knapp 20 TWh Stromzuwachs aus regenerativen Energieträgern stehen dem gegenüber.  Plus einem Importstromsaldo von 8,6 TWh. Importstrom, dessen CO2-Ausstoß bei der Stromerzeugung im jeweiligen Land nicht auf den deutschen CO2-Ausstoß gesamt angerechnet wird, sondern im Erzeugerland verbleibt.  Der Strombedarf Deutschlands ist stark gesunken. Von 491,8 TWh auf 445,4 TWh. Die Ursache liegt unseres Erachtens in erster Linie am vorübergehenden wirtschaftlichen Abschwung Deutschlands. Weil im Jahr 2023 erheblich weniger Strom fossil erzeugt wurde, ist der CO2-Ausstoß Deutschlands stark gesunken. Er bewegt sich auf etwas niedrigerem Niveau als im Jahr 2020, dem ersten Corona-Jahr, welches mit strikten Lockdowns insbesondere auch in Wirtschaft und Industrie verbunden war. Damals war der wirtschaftliche Rückgang Deutschlands offensichtlich. 2021 und 2022 ging es wieder aufwärts. Im Jahr 2023 fand der Abschwung hingegen eher im Stillen statt. Nach der Umstrukturierung des Bundes – und der Landeshaushalte gemäß dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes sehen wir allerdings gute „Erholungsmöglichkeiten“ Die Wirtschaft wird nach unseren Kenntnissen alles für einen Aufschwung tun und sich der ihr obliegenden Verantwortung stellen.

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Selbstverständlich wird bei sinkender konventioneller Erzeugung der prozentuale Anteil der Erneuerbaren am Stromerzeugungskuchen größer. Eine starke Windstromerzeugung hat sehr oft eine geringere PV-Stromerzeugung zur Folge. Das auch aktuell, obwohl die PV-Anlagen mit 14 GW Zubau im Jahr 2023 stark angewachsen sind. Die PV-Stromerzeugung ist im Jahr 2023 gesunken. Und ob starker Wind vom Bürger immer gern gesehen wird, ist fraglich. Ende des Jahres 2023 ging die hohe Windstromerzeugung mit starken Überschwemmungen einher. Alles hat – wie immer – zwei Seiten.

Festzuhalten ist, dass der hohe prozentuale Anteil der Erneuerbaren von knapp 60 Prozent und der geringere CO2-Ausstoß im Deutschland des Jahres 2023 in erster Linie der Rückgang produktiver und wirtschaftlicher Aktivitäten mit der Konsequenz sinkenden Energiebedarfs zugrunde liegt. Und zwar auf das Niveau der 1960er Jahre im fossilen Bereich.

Stromimporte wegen des günstigen Preises?

 
„Vermehrt deckten Stromanbieter zuletzt die Nachfrage in Deutschland teilweise durch Stromimporte aus anderen Ländern. In Deutschland gibt es ausreichend Kraftwerke, um die gesamte Nachfrage im Land abzudecken. Dennoch ist es für Anbieter oft billiger, Strom aus Nachbarländern einzukaufen statt vergleichsweise teure Gas- und Kohlekraftwerke im Inland zu betreiben.“ Quelle

Richtig ist, dass für Importstrom keinerlei Ressourcen aus Deutschland benötigt werden. Er wird nicht von deutschen Kraftwerken hergestellt, er muss nur eingeführt und bezahlt werden. Vom Stromkunden. Importstrom ist rechnerisch CO2-frei für Deutschland. Es ist gleichwohl eine Legende, dass Strom importiert wird, weil er so günstig sei. Günstiger als selbst hergestellter Strom aus Kohle. Das ist nachweislich nicht richtig, wie die folgende Abbildung zeigt.

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Immer wenn Strom importiert wird, ist der Preis im oberen Segment angesiedelt. Wird hingegen so viel eigener Strom hergestellt, dass dieser exportiert werden muss, sinkt der Strompreis. Zur besseren Veranschaulichung ein kürzerer Zeitraum:

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Der ausgewählte Zeitraum verdeutlicht, dass der Strompreis steigt, wenn Deutschland Strom nachfragt. Vom hohen Importstrompreis profitieren alle, auch die deutschen Stromerzeuger. Wenn Deutschland so viel Strom produziert, dass er verkauft, exportiert werden ´muss`, dann fällt der Strompreis. Es ist nur sehr selten, dass Deutschland mit Eigenerzeugung den Bedarf genau decken kann.

Am 18. Juli 2023 um 11:00 Uhr (Beispiel 1) ist das der Fall. Es muss weder Strom exportiert noch importiert werden. Regenerativer plus fossiler Ergänzungsstrom reichen exakt aus, um den Bedarf zu decken. Der Preis liegt bei 78,8€/MWh. Diesen Preis und am Ende inkl. aller Abgaben und Kosten viel mehr (Beispiel 2023) muss der Stromkunde den deutschen Erzeugern, den Dienstleistern, dem Vertrieb  und dem Staat für den gelieferten Strom bezahlen.

Einige Stunden später, nach Sonnenuntergang um 20:00 Uhr (Beispiel 2) fehlt eine Menge Strom, obwohl die fossile Stromerzeugung stark hochgefahren wurde. Der fehlende, immer noch zur Bedarfsdeckung nicht ausreichende, in Deutschland erzeugte Strom, der fehlende Strom wird importiert. Zum Preis von 188€/MWh. Diesen Preis erhalten alle Erzeuger, auch die deutschen. Deshalb ist der Import für alle ein gutes Geschäft. Der Preis ist hoch und kommt jedem Erzeuger zugute. Der Stromkunde allerdings, der zahlt.

Ein dritter bemerkenswerter Fall ist der 17. Juli 2023 um 14:00 Uhr (Beispiel 3). Da erreicht die regenerative Stromerzeugung fast die Bedarfslinie. Dennoch wird fossiler Strom hinzuerzeugt, so dass zu viel Strom im Markt ist und der Strompreis auf 0€/MWh fällt. Warum ist die fossile Stromerzeugung unabdingbar? Die Netzstabilität kann nur aufrechterhalten werden, wenn etwa 20 bis 25 oder mehr Prozent der Gesamtstromproduktion mit großen Generatoren erzeugt werden. Diese sorgen mit 3.000 Umdrehungen/Minute dafür, dass die Netzfrequenz bei 50 Hertz stabil bleibt. Folgende Kosten fallen an: Die regenerativen Erzeuger bekommen ihre EEG-Vergütung. Die konventionellen Erzeuger bekommen die Systemdienstleistung zwecks Netzstabilisierung bezahlt.

Etwas anders sieht es beim letzten Beispiel aus. Am 16. Juli von 8:00 bis 17:00 Uhr (Beispiel 4) ist der Strompreis negativ. Die regenerative Stromerzeugung übersteigt den Bedarf.  Hinzu kommt noch der „Strom der großen Generatoren“ zwecks Netzstabilisierung. Das führt zu einem erheblichen Überangebot, so dass der Preis unter die Null-Linie fällt. Der Strom wird nicht nur an die abnehmenden Länder verschenkt, sie bekommen zusätzlich einen, ich nenne es mal „Abnahmebonus“. Weil der Umstand „negative Strompreise“ mehr als vier Stunden dauert, erhalten die regenerativen Erzeuger keine Vergütung. Die konventionellen Erzeuger bekommen die Systemdienstleistung „Netzstabilisierung“ vergütet. Zur Verdeutlichung nochmals der beobachtete Zeitraum mit den vier Beispielen:

Auf Quelle klicken und die Aussagen oben nachvollziehen

Um die Preisfrage „Importstrom“ abzurunden:  Die Jahresdaten 2023 mit dem Strommix des Importstroms

Abregelung von Windkraftanlagen

 
Selbstverständlich muss der Strom, der regenerativ erzeugt wird, möglichst dort zur Verfügung stehen, wo er benötigt wird. Das ist oft der Westen und oder der Süden des Landes, während insbesondere die Windstromerzeugung im Norden stark ist. Deshalb ist der Netzausbau ein Dauerthema in der Politik. Auch die NDR würdigt dem Bau einer unterirdischen Trasse mit einem Bericht. In diesem Bericht gibt Frau Prof. Kemfert zusätzlich eine  Einschätzung zur Lage „Netzausbau“:

Wichtig ist zu wissen, dass im Jahr 2022 lediglich sieben TWh Windstrom abgeregelt wegen Netzengpässen abgeregelt wurden. Bezogen auf die Stromerzeugung 2022 von  510 TWh netto ist diese Strommenge sicher nicht geeignet, den Gedanken zu schüren, dass der bisherige Netzausbau die Energiewende behindert.  Zur weiteren Info: Im ersten Quartal des Jahres 2023 lag die Abregelung von Windkraftstrom bei onshore 1,2 TWh/offshore 2,1 TWh = 3,3 TWh. Selbstverständlich ist es notwendig, bei einem weiteren Ausbau der Stromerzeugung mittels Wind- und Solarkraft die notwendigen Stromleitungen über Land zu bauen. Genauso notwendig ist es, die Verteilnetze vor Ort auszubauen, damit ausreichend Strom für die den geplanten Hochlauf von E-Mobilität und Wärmepumpen und mehr zur Verfügung steht.

Insgesamt ist die Ampel unseres Erachtens klimatechnisch auf dem richtigen Weg. Die Steine, die der Energiewende haushaltstechnisch in den Weg gelegt wurden, können und werden von der Politik weggeräumt werden. Dann wird es mit Wirtschaft, Handel und Gewerbe wieder aufwärtsgehen. Wichtig ist, dass vor allem die energieintensive Industrie mit den zugesagten Förderungen (Stichwort: „Grüner Stahl“) rechnen kann. Doch nicht jedes Unternehmen wird alles in Aussicht Gestellte erhalten. Dann gilt: Abstriche bei Fördermaßnahmen sollten klug vorbereitet und im Einvernehmen mit den betroffenen Firmen und/oder Verbänden vorgenommen werden. Ein angemessener zeitlicher Rahmen für geplante Veränderungen ist dabei unabdingbar. Nichts darf von „heute auf gleich“ beschlossen und verkündet werden. Darüber hinaus sollte die finanzielle (Not-) Lage in Bund und Ländern offen kommuniziert sowie an die unbedingt notwendige Solidarität der Bürger appelliert werden. Dann werden diese auch auf den ersten Blick schwierige, aber notwendige Maßnahmen/Streichungen mittragen. Ganz besonders wichtig ist, dass, sollte das ein oder andere Unternehmen unverschuldet in Schwierigkeiten geraten, der Staat – wie bereits in der Pandemie – bereit ist, Hilfe zu leisten. Davon sind wir überzeugt.

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