Energiewende & Ideen von Agora zur Bewältigung der aktuellen Energie-Lage

19.04.2022 enexion

„Durch eine deutliche Steigerung der Energieeffizienz, den Ausbau Erneuerbarer Energien sowie die Elektrifizierung von Industrieprozessen und Gebäudewärme, kann der Gasbedarf Deutschlands bis 2027 um rund ein Fünftel beziehungsweise etwa 200 Terawattstunden sinken.“ So beginnt die Zusammenfassung einer Studie, die Agora Energiewende in Zusammenarbeit mit Prognos und dem Wuppertal Institut erstellt haben. Weiter heißt es: “ Im akuten Fall, dass die russischen Gasimporte in die EU gänzlich ausfallen, müsste Deutschland trotz einer europäischen Ersatzstrategie rund 290 Terawattstunden Erdgas einsparen. Durch Energiesparmaßnahmen und alternative Energiequellen lässt sich der Verbrauch von Erdgas in der Bundesrepublik vorübergehend um rund 160 bis 260 Terawattstunden senken. Entsprechende Maßnahmen wären etwa Erdgas in der Strom-, Wärme- und Industrieproduktion durch alternative Brennstoffe zu ersetzen oder die Raumtemperatur um 0,5°C bis 1,5° abzusenken.“ Zusammengefasst sieht es so aus:

Der Erdgasanteil am Primärenergiebedarf Deutschlands lag 2020 lt. BDEW bei 26,4% von 3.305 TWh (umgerechnete 11.899 Petajoule). Das sind 873 TWh. 20% Einsparung davon machen etwa 170 TWh aus. Russland liefert aber 55% = 480 TWh des von Deutschland benötigten Erdgases. 310 TWh sind praktisch noch „offen“. Insofern sind die 290 TWh, die gemäß Agora bei einem Totalausfall der russischen Gasversorgung insgesamt eingespart werden müssten, zu knapp bemessen.

Die folgende Tabelle konkretisiert die Maßnahmen, die notwendig sind, um so nahe wie möglich an die Einsparziele heranzukommen:

Wie bereits oben berechnet sind 290 TWh Ersatz zu wenig, um die Gas-Lieferungen Russlands ad hoc wegen des Ausbleibens zu ersetzen.

Was bedeutet der Zubau installierter Leistung von „39 GW Onshore Wind, 5,5 GW Offshore Windkraft, 84 GW Photovoltaik“ in der Variante „bis 2027“ konkret? Die Berechnung mit dem Analysetool „Windkraft- und PV-Rechner“ wirft dieses Ergebnis aus:

Quelle

Bemerkenswert ist die Differenz, die zwischen dem Berechnungsergebnis (189 TWh Strom im Jahresdurchschnitt regenerativ erzeugt) und der Gasersparnis lt. Tabelle (50 TWh) liegt. Viel wichtiger ist aber faktische und praktische Unmöglichkeit innerhalb von vier Jahren diesen regenerativen Zubau zu verwirklichen. Da reicht es nicht, von einem „gesellschaftlichen Kraftakt“ zu sprechen. Wenn nicht genügend Ressourcen, wenn nicht ausreichend Fachkräfte vorhanden sind, wenn die – verkürzten – Genehmigungsverfahren nicht abgeschlossen sind oder die Anträge noch gar nicht gestellt wurden, von den Unsummen an Geld, die noch für die Vorhaben bereitgestellt werden müssen, abgesehen, wenn dies so ist, dann kann man getrost von einem Wunschdenken sprechen, welches in der Studie ausgebreitet wird. Das Mengenproblem ist den Machern offensichtlich nicht bekannt. Dieses Problem verschärft sich durch das womöglich fehlende russische Gas, das durch regenerativ erzeugten Strom ersetzt werden soll, enorm. Bisher diente der Ausbau von Wind- und Solarkraftwerken in erster Linie zur Umstellung der Stromerzeugung von fossil auf regenerativ. Nun soll fossile Energie, soll Gas in großem Umfang in Bereichen substituiert werden, die mit Strom bisher nichts zu tun hatten. Sicher entspricht dies den Zielen der Energiewende, nur kommt diese Substitution zur Stromwende hinzu. Der Ausbau der regenerativen Infrastruktur muss dementsprechend in viel größerem Umfang erfolgen als bisher vorgesehen.

Nach unserer Einschätzung muss in jedem Fall verhindert werden, dass Russland seine Gas-, aber auch Kohle und Öllieferungen einstellt. Äußerst kurzsichtig wäre es auch, diesen „Lieferstopp“ selber per Sanktionen zu initiieren. Das schadet Russland in keinem Fall so, wie es dem Westen, insbesondere Deutschland schaden würde. Denn dann ginge es nicht nur um „Frieren für den Frieden“. Der Wohlstand Deutschlands würde innerhalb kürzester Zeit ein einer Art und Weise einbrechen, wie sich das kaum jemand vorzustellen vermag. Industrie, Gewerbe und Handel, die Wirtschaft insgesamt würden ihrer Existenzgrundlage – gesicherte Energieversorgung – beraubt und zusammenbrechen. Millionen zusätzliche Arbeitslose, eine galoppierende Inflation und ein massiver Kriminalitätszuwachs wären die Folge.

Dabei gibt es realpolitisch praktisch keine Alternative zu Russland.

Ein Deutschland mit abgeschalteten Kernkraftwerken, mit stark volatiler regenerativer Stromerzeugung ohne ausreichende Speicher, ohne Kohle- und Gasstromerzeugung, ein Deutschland, das Energie nur aus moralisch einwandfreien Staaten importieren will, dieses Deutschland kann kein Industriestaat bleiben.

Zum Schluss noch ein Wort zu den USA. Die aktuelle Administration des Präsidenten hat nichts dazu beigetragen, den Russland – Ukrainekonflikt, der vor allem ein NATO-Beitrittskonflikt war, beizulegen. Die NATO wurde immer näher an die Grenze Russlands erweitert. Die NATO mag vielleicht ein Friedensbündnis sein. Es kommt dabei allerdings immer auf die Sichtweise an. Wladimir Putin wird das Heranrücken der NATO an Russlands Grenzen ganz sich anders einordnen als der Westen. Wenn die USA, die Biden-Administration vertraglich-verbindlich zugesagt hätte, dass die Ukraine nicht Mitglied der NATO und neutral ohne Militärstationierung wird, wäre es wahrscheinlich gar nicht zum russischen Angriff auf die Ukraine gekommen. Es hätte weiter nach dem Minsker-Abkommen verhandelt werden können, was in erster Linie von der Ukraine verzögert wurde. Der Frieden aber wäre gewahrt geblieben. Vor allem wirtschaftliche Interessen – teures LNG aus den USA, statt ´billiges` Pipelinegas aus Russland – haben die amerikanische Administration dazu bewogen, nichts gegen die Ausweitung des Konfliktes zu tun. Das sagen wir, obwohl wir grundsätzlich den USA als jahrzehntelange Schutzmacht Europas, Deutschlands noch immer gewogen sind.

Alle Berechnungen und Analysen nach bestem Wissen und Gewissen, aber ohne Gewährleistung

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