Energiewende und der Realitätscheck von Prof. Sinn – Teil 1

08.07.2022 enexion

Prof. Hans-Werner Sinn leitete lange Jahre das IfO-Institut, hat zahlreiche Publikationen veröffentlicht und Vorträge gehalten. Diese werfen einen realistischen Blick auf das jeweilige Thema. Aktuell hat sich Prof. Sinn mit dem Stand der Dinge in Sachen ´Energiewende` beschäftigt. Auf dem 4pi-Symposium in Konstanz hielt Prof. Sinn einen einstündigen Vortrag, der sechs wesentliche Teile zum Klimawandel, der Energiewende darstellt und bewertet. In diesem Artikel werden die ersten drei Aspekte abgehandelt, im nächsten Enexion-Artikel die letzten drei. Die Aspekte werden mit Kurztexten, Videoclips und Grafiken so aufbereitet*, dass sie praktisch „nachgeschlagen“ werden können. Ergänzt wird dieser Teil durch die Analyse der aktuellen Fakten zur Stromversorgung Deutschlands durch Enexion.

Quelle

Die drei Aspekte des ersten Teils

 

  • Das Pariser Klimaabkommen (ab Min. 1:51 im Vortrag oben)
  • Die utopischen Ziele der EU (ab Min. 6:15)
  • Die Volatilität von Wind- und PV-Strom (ab Min 19:02)

plus Enexion-Analyse:

  • Fakten zur Stromversorgung Deutschlands 1. Mai bis 6. Juni 2022

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1. Das Pariser Klimaabkommen (ab Min. 1:51 im Video oben)

Die beiden bevölkerungsreichsten Länder der Erde, China und Indien, machen beim Pariser Klimaabkommen faktisch nicht mit. Hunderte Kohlekraftwerke werden allein von diesen beiden Ländern aktuell gebaut. China stößt mehr CO2 als alle Länder der OECD zusammen aus. Unterzeichner des Pariser Klimaabkommens, wie zum Beispiel die USA, nehmen dieses offensichtlich nicht sonderlich ernst. So forderte die Biden-Regierung am 11. August 2021 die OPEC auf, die Ölproduktion zu erhöhen. Eigennutz geht trotz des Abkommens oft vor Klimaschutz.

 

Fakten

 

(C) Hans-Werner Sinn

2. Die utopischen Ziele der EU (ab Min. 6:15)

Die CO2-Emissionen sollen von 100% (1990) bis zum Jahr 2050 auf 0% gesenkt werden. Die EU erreichte das Zwischenziel für 2020 (Reduktion um 20%). Deutschland erreichte sein Zwischenziel 2020 (Reduktion um 40%) ebenfalls. Entscheidend dafür war der wirtschaftliche Einbruch wegen der Corona-Maßnahmen.  Sie erinnern sich? Nur wenig Menschen möchten dauerhaft so leben wie im Frühjahr 2020, als alle Aktivitäten wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Natur heruntergefahren wurden. Mit den wirtschaftlichen Einschränkungen in dieser Zeit wurden die „niedrig hängenden Früchte“ geerntet. Jetzt wird es für Europa, für Deutschland immer schwieriger, die selbst gesteckten Ziele zu erreichen. Der Zeitrahmen ist kleiner; große Schritte – wie zum Beispiel der Wegfall der „emissionsstarken“ DDR-Industrien – in Sachen CO2-Reduktion sind kaum noch möglich. Der Ausstieg Deutschlands aus der Stromerzeugung mittels Kernkraft verschärft das Problem. Allein um den dadurch wegfallenden, praktisch CO2-freien Strom auszugleichen, erfordert enorme Kraftanstrengungen**.

Ziele und Energiemix – Ein offensichtlicher Widerspruch

 

Ziele

 

 

Energie-Mix

 

 

Wind- und Solarkraft

 

 

Atomaustieg Deutschland – Kernkraft im Überblick weltweit

 


3. Die Volatilität von Wind- und PV-Strom (ab Min 19:02)

Weil Wind und Sonne unregelmäßig, manchmal sogar wenig bis gar keinen Strom liefern, müssen weiterhin konventionelle Kraftwerke „Gewehr bei Fuß“ stehen, um die entstehenden Versorgungslücken zu schließen. Weil Deutschland aus der Stromerzeugung mittels Kernkraft und Kohle gleichzeitig und komplett aussteigen will, können das nur Gaskraftwerke sein. Das Gas, das in Zeiten zum Beispiel von mehrtägigen Dunkelflauten in gewaltigen Mengen benötigt wird, muss entsprechend bevorratet werden.

Zu wenig Strom

 

 

Zu viel Strom

 

Angenommene Verdoppelung: Wo bleibt der überschüssige Wind- und PV-Strom?

Selbstverständlich wird wegen des höheren Bedarfs (E-Mobilität, Wärmepumpen usw.) mehr Strom nötig sein. Trotzdem wird sehr viel Strom übrigbleiben. Vor allem über Mittag wird in aller Regel ´zu viel` Strom erzeugt. Wo bleibt dieser Strom?

 

Drei Säulen der grünen Stromversorgung

 

Enexion-Exkurs: Die Speichermöglichkeiten von Strom mittels Wasserstoff oder Batterien können mit diesen Tool simuliert und analysiert werden.

(C) Grafiken/Videoausschnitte Hans-Werner Sinn & 4pi

Teil 2 des Realitätschecks …

… ist Bestandteil des nächsten Artikels dieser Kolumne.

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Aktuelle Fakten zur Stromversorgung Deutschlands***

„Regenerative Stromerzeugung“ vom 1. Mai bis zum 6. Juni 2022

Klicken Sie bitte zwecks besserer Übersichtlichkeit immer auf „Quelle & Vergrößern“ des jeweiligen Charts. Die Werte des betrachteten Zeitraums ab 2016.

Der erste Chart belegt, dass die regenerative Stromerzeugung sehr volatil ist. Vor allem durch die zeitlich immer begrenzte PV-Stromerzeugung unterliegen die regenerativen Erzeuger einem ständigen Auf und Ab. Die roten Flächen signalisieren Stromimporte aus dem benachbarten Ausland. Es ist durchaus nicht so, dass die konventionellen Stromproduzenten den fehlenden Strom nicht selbst erzeugen könnten. Das käme für sie gleichwohl erheblich teurer als der Importstrom. Der wird praktisch direkt von den Strom-Versorgern und damit von Endkunden bezahlt. Der Bereich zwischen der gelben Bedarfslinie und der regenerativen Erzeugung wird konventionell abgedeckt. Oft wird sogar über den Bedarf hinaus erzeugt. Mehr dazu beim nächsten Chart.

Quelle & Vergrößern

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Die gestrichelte Linie des zweiten Charts weist die Über- bzw. Unterproduktion der Stromerzeugung aus. Immer wenn zu wenig Strom erzeugt wird, um den Bedarf zu decken, wird importiert. Ist die regenerative, insbesondere die Windstromerzeugung stark, kommt es zu Stromüberschüssen. Diese resultieren aus der konventionellen Erzeugung, die mit ihren großen Generatoren die Netzfrequenz (50 Hz) stabil halten.  Deshalb kann die konventionelle Erzeugung nicht beliebig heruntergefahren werden. Etwa 20% der Stromproduktion muss konventionell erfolgen. Je näher der regenerativ erzeugte Strom an die Bedarfslinie reicht, desto größer wird die Strom-Überproduktion. Was Auswirkungen auf den Strompreis hat.

Quelle & Vergrößern.

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Der dritte Chart weist die Auswirkungen der Volatilität der Wind- und PV-Stromerzeugung auf die Preisfindung aus. Immer wenn Strom importiert werden muss, ist das Preisniveau hoch. Ist über die Mittagsspitze zu viel Strom im Markt, fällt der Preis. Vom ersten bis zum siebten Mai zum Beispiel liegt der Strompreis praktisch immer über 200€/MWh. Am 21. Mai, ein Sonntag, ist der Bedarf gering und die Wind- plus PV-Stromerzeugung sehr stark, der Preis fällt über Mittag fast auf die Null-€ Linie. Einige Stunden später, als die PV-Stromerzeugung wegfällt, muss Strom importiert werden. Innerhalb weniger Stunden ist die Windstromerzeugung praktisch komplett eingebrochen. Generell lässt sich sagen, dass der Preis anzieht, wenn Strom von Deutschland importiert (rote Bereiche) werden muss. Der Preis fällt, wenn zu viel Strom, im Markt ist, Strom, den Deutschland verkaufen muss. Das ist oft über die Mittagsspitze der Fall. Sind Wind- und PV-Stromerzeugung stark und liegt die Erzeugung nahe an der Bedarfslinie, sinkt der Strompreis massiv. Sogar negative Strompreise sind möglich. Wie zum Beispiel am 26. bis 28. Mai 2022.

Quelle & Vergrößern

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*Wir danken Prof. Sinn und 4pi für die Veröffentlichung des Vortrags auf youtube. Unsere Aufarbeitung verwendet in den jeweiligen Kapiteln Ausschnitte – zusammenfassende Texte, Videoclips und Grafiken – aus dem Vortrag. Die Zeitangabe in der jeweiligen Überschrift bezieht sich auf das komplette Vortrags-Video ganz oben. Damit kann der jeweils relevante Abschnitt des Vortrag direkt angesteuert und im Original angesehen werden.

**Die ab 2023 wegfallende Strommenge aus Kernkraft beträgt im 2022 Jahr hochgerechnet etwa 30 Terawattstunden (TWh).  Schauen Sie hier, welche Menge an an Windkraft- und PV-Anlagen allein für den Ausgleich dieser Strommenge nötig ist.

***Wochenaktuelle Fakten zur Energiewende mit vielen Analysemöglichkeiten

 

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