Energiewende – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

19.08.2022 enexion

Vor zehn Jahren erschien bei Agora-Energiewende ein Diskussionspapier mit 12 Thesen zu Durchführung und den Voraussetzungen zum Gelingen der Energiewende (Kurzfassung, 2. Auflage – Kürzel KF –). Verantwortlich zeichnete der damalige Gründungsdirektor Rainer Baake, der kurz darauf als Staatssekretär in das Bundeswirtschaftsministerium wechselte. Heute ist Rainer Baake als Sonderbeauftragter des Ministeriums in Namibia für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft verantwortlich und nicht zu verwechseln mit seinem Nachfolger bei Agora-Energiewende und Habecks heutigem Staatssekretär Patrick Graichen.

Die 12. These aus dem Jahr 2012 ist selbstverständlich immer noch die wichtigste:

 

Das Effizienzdogma – „Eine gesparte kWh ist die günstigste“

 
Wobei der Begriff des „Sparens“ durchaus nicht absolut gesetzt werden darf. Es geht heute nicht mehr darum, den aktuellen Strombedarf zu senken. Im Rahmen einer Energiewende, die nicht nur die aktuelle Stromversorgung betrifft, sondern Sektoren übergreifend alle Bereiche, die Energie – heute auch Gas, Öl, Kohle, Kernenergie – benötigen, elektrifizieren will, wird der Strombedarf massiv steigen.

Zuverlässige Quellen sagen, dass allein die Elektrifizierung der chemischen Industrie einen Strombedarf von über 600 Terawattstunden (TWh), das ist heute der Gesamtstrombedarf Deutschlands inkl. Industrie, nach sich ziehen würde. Aber, und auch das ist richtig, eine Elektrifizierung wird wahrscheinlich den Primärenergiebedarf senken, weil nur noch wenige fossile Energieträger mit hohen Wärmeverlusten verstromt würden. Ein Problem stellt allerdings die Fernwärmeversorgung dar, die wegen der stark eingeschränkten fossilen Energiebereitstellung ebenfalls stark reduziert würde.

Das Energiewende-Credo: „Im Mittelpunkt stehen Wind und Solar!“

 
Das ist mittlerweile eine Binsenweisheit. Alle anderen regenerativen Energieträger sind „entweder deutlich teurer beziehungsweise haben [vor allem in Deutschland] nur begrenzte Ausbaupotenziale (Wasser, Biomasse/Biogas, Geothermie) und/oder sind noch im Forschungsstadium (Wellenenergie, Osmose etc.)“ Quelle KF Seite 4. Aber auch in Deutschland ist der Ausbau vor allem der Windkraftanlagen nur begrenzt realisierbar. Welche Folgen der massive Ausbau der Photovoltaikanlagen hat, wird im Verlauf dieser Analyse (Abschnitt: ´Die Zukunft` unten) sichtbar werden.

Bemerkenswert ist, dass der Kostenaspekt realistisch gesehen wird. „Windkraft- und PV-Anlagen werden 2015 Vollkosten von 7-10 ct/kWh haben – ein System aus Windkraft, PV und Back-up-Kapazitäten liegt damit in der gleichen Größenordnung wie neue Gas- und Kohlekraftwerke“ Quelle KF Seite 4. Es wird nicht nur der Kostenfaktor für die regenerativen Kraftwerke an sich, sondern auch der Kostenfaktor für die unbedingt notwendigen Back-up -, das sind in aller Regel, Gaskraftwerke berücksichtigt. Die Vollkosten liegen aktuell sicher höher. Das ist schon wegen der massiv angestiegenen Energiepreise einleuchtend. Inkl. Backup-Kraftwerkspark mit einer Gesamtleistung von mindestens 80 GW werden es sicherlich geschätzte 20 bis 40 Cent oder mehr / kWh (Ohne Steuern & diverse Abgaben) werden. Nicht für den einzelnen Windmüller/Sonnenstromer, aber für die Volkswirtschaft und für den Stromkunden und den Steuerzahler, die letztendlich alles bezahlen müssen.

Das folgende Schaubild veranschaulicht die 2012 angenommene Stromerzeugung im Jahr 2022 für die jeweils angezeigte Woche. Es bietet sich an, die Prognose aus dem Jahr 2012 mit den tatsächlichen Werten der Jahre 2022/2021 zu vergleichen, um zu sehen, was aus den Annahmen geworden ist. Wir tun das ohne irgendeinen wissenschaftlichen Anspruch.

Im Zukunftsteil dieses Artikels werden wir die aktuellen Zukunftscharts von Agora Energiewende heranziehen, um die zukünftige Entwicklung des Ausbaus der ´Erneuerbaren` kritisch zu würdigen.

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Die tatsächliche KW 6 des Jahres 2022:

 

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Die regenerative Stromproduktion dieser Woche lag mit 57,1% über dem Durchschnitt von knappen 50% der vergangenen Jahre. Wobei die Windstromerzeugung Vorrang hatte. Im Gegensatz zum Prognose-Chart oben, wurde an keinem Tag der Strombedarf Deutschlands regenerativ gedeckt. Auch an keinem anderen Tag in der Vergangenheit. Lediglich für ein paar Stunden gelang dies an sehr wenigen Tagen in der Vergangenheit. An Tagen, an denen der Bedarf besonders gering und die Wind- sowie PV-Stromerzeugung über Mittag stark genug war. Es fällt auf, dass die Prognose von einem starken Anstieg der regenerativen Windstromerzeugung zum Wochenende ausgeht. Dennoch sind sowohl beim Prognose- als auch beim echten Chart erhebliche Mengen konventioneller Strom notwendig, um den Bedarf zu decken.

Die tatsächliche KW 14 des Jahres 2022:

 

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Viel Windstrom, mäßige PV-Stromerzeugung, insgesamt 70% Anteil der regenerativen Stromerzeugung am Bedarf. Die Energiewende steht und fällt mit der Windstromerzeugung. Die Prognose auf den zweiten Chart oben aus 2012 ist in Bezug auf die PV-Stromerzeugung viel zu optimistisch. Wäre die tatsächlich stärker gäbe es weniger Windstrom. „Windkraft und PV sollten parallel ausgebaut werden, denn sie ergänzen sich gegenseitig: In der Regel weht der Wind dann, wenn die Sonne nicht scheint – und umgekehrt“ Quelle KF Seite 5. Dabei gibt es wegen der PV-Stromerzeugung nur über Tag dennoch ein erhebliches Ungleichgewicht. Das belegen die Zukunftscharts im zweiten Teil dieses Artikels eindrucksvoll. Wegen der fehlenden Speichermöglichkeiten großer Strommengen, verpufft eine starke PV-Stromerzeugung und führt womöglich zu geringen oder gar negativen Preisen. Der verlinkte Agora-Bericht zu diesem Phänomen überrascht mit der Aussage, dass konventionelle Kraftwerke zu unflexibel seien. Unflexibel sind doch Wind und Sonne. Sie geben den Takt vor, der von den konventionellen Erzeugern so austariert werden muss, damit das Gleichgewicht zwischen Stromnachfrage und Stromerzeugung erhalten bleibt. Hinzu kommt die Tatsache, dass IMMER etwa 20% der Stromproduktion (Systemdienstleistung) konventionell mit großen Generatoren erzeugt werden müssen, damit die Netzstabilität erhalten bleibt. Geht die regenerative Stromerzeugung Richtung Bedarfsdeckung kommt es zwangsläufig zu einer Überproduktion, den die 20% kommen noch dazu. Das bewirkt den Preisverfall. Eine Lösung dieses Problems in großem Maßstab ist nicht in Sicht.

Die beiden nächsten Charts aus dem Jahr 2012 bilden eine Sommer- und eine Herbstwoche ab:

 

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In der KW33 wird angenommen, dass dank starker Wind- und PV-Stromerzeugung der Bedarf rein regenerativ gedeckt wird. Wie oben gezeigt wäre dennoch aus Netzstabilisierungsgründen noch eine erkleckliche Menge Strom aus konventionellen Kraftwerken erforderlich. KW 47 nimmt eine sehr schwache regenerative Erzeugung bei erhöhtem Bedarf an.

Die tatsächliche KW 33 des Jahres 2021:

 

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Tatsächlich ist der Wochenbeginn regenerativ stark, während es am Freitag und Samstag fast zum Erliegen der Windstromerzeugung kommt. Fast die ganze Woche wird  Strom importiert, um den Bedarf Deutschlands zu decken.  Der Strom-Überschuss, der generell vorhanden ist, kann mangels Speichermöglichkeiten nicht für die Schließung der Stromlücken genutzt werden. Der regenerative Beitrag zur Bedarfsdeckung beträgt 50,4% Die Zahlen zur 33. Woche 2021 komplett.

Die tatsächliche KW 47 des Jahres 2021:

 

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´Gut` prognostiziert. Es herrscht fast eine Dunkelflaute. Der Bedarf ist hoch. Mit weniger 30% Anteil der regenerativen Erzeugung am Bedarf kann dieser nicht annähernd gedeckt werden. Wobei bedacht werden muss, dass 8,7% durch die Verstromung von Laufwasser und Biomasse stammen. Bleiben gut 20% Strom aus Windkraft- und PV-Stromerzeugung.

Die Zukunft

 
Agora Energiewende ermöglicht es seit einiger Zeit virtuell die erhöhte regenerative Stromerzeugung darzustellen. Die tatsächlichen erzeugten Werte werden hochgerechnet. Wie das funktioniert, welches die sachliche Grundlage ist, wird in einer Dokumentation von Agora-Energiewende ausführlich dargelegt. Erwähnt sei dies: „Die Differenz aus Nachfrage und Erneuerbarer Erzeugung zeigt entweder exportierte Strommengen bzw. abgeregelten Strom aus Erneuerbaren Energien (wenn die Erzeugung aus Erneuerbaren Energien größer ist als die Nachfrage), oder die Residuallast, also die Strommenge aus Importen bzw. regelbaren Kraftwerken oder Speichern (wenn die Erneuerbare Erzeugung geringer ausfällt als die Nachfrage).“ Quelle

KW6

 
Ausgangsdaten der sechsten KW 2022

2030 Ausbau der Regenerativen 68% KW6

 

Quelle

Für die Deckung des prognostizierten, flexibilisierten Bedarfs ist noch eine gewaltige Menge konventionell erzeugter Strom notwendig. Nur am Sonntag, reicht die regenerative Erzeugung aus. Am Freitag um 17:00 werden gut 45 GW konventionell erzeugter Strom notwendig. Woher soll dieser Strom 2030 herkommen?

2040 Ausbau der Regenerativen 86% KW6

 

Quelle

Der regenerativ erzeugte Strom reicht jeden Tag aus, um die flexibilisierte, angenommene Nachfrage zu decken. Es entstehen über die Mittagsspitze Stromüberschüsse, die entweder abgeregelt oder billig verkauft, evtl. sogar mit Bonusscheck verschenkt werden müssen. Dennoch werden am Freitag um 18:00 Uhr über 35 GW konventioneller Strom benötigt. Generell vernachlässigt werden die 20% konventionell, mittels großer Generatoren zu erzeugende Strom, der die Netzstabilität gewährleistet. Aktuell gibt es keine Methoden, um dieses Problem „intelligent“ und/oder „smart“ im notwendigen Umfang zu lösen. Wahrscheinlich wird das auch 2040 nicht der Fall sein. Genauso, wie die Existenz von Strom-Massenspeichern (Wasserstoff)  wenig wahrscheinlich ist.

KW14

 
Ausgangsdaten der 14. KW 2022.

2030 Ausbau der Regenerativen 68% KW14

 

Quelle

Bis auf die beiden Tage am Wochenende wird die fangenommene flexibilisierte Nachfrage nicht gedeckt. Praktisch die komplette Woche muss konventionell erzeugter Strom hinzu erzeugt werden. Ob der dann auch ausreicht, um die Netzstabilität zu gewährleisten, ist mehr als fraglich. Am Dienstag dürfte es reichen. Samstag und Sonntag ganz bestimmt nicht. Da müsste er noch hinzukommen, was zu einem starkem Strom-Preisverfall führen würde.

2040 Ausbau der Regenerativen 68% KW14

 

Quelle

Im Frühjahr, wenn die Sonne bereits kräftig scheint und der Wind bereits stark weht, kommt es zu obigem Szenario. Es entsteht eine gewaltige Stromüberproduktion. Wobei der – ich wiederhole mich gerne, weil es so außerordentlich wichtig ist – konventionelle Strom, der aus Netzstabilitätsgründen erzeugt noch zusätzlich werden muss, nicht berücksichtigt ist. Der Strompreis fällt bei diesem Szenario garantiert in den negativen Bereich. Nicht weil die Regenerativen so günstig wären (Gestehungskosten). Es ist bezogen auf die Nachfrage viel zu viel Strom im Markt. Bemerkenswert ist, dass trotz der fast ausschließlich regenerativen Erzeugung, an drei Tagen die berühmte Vorabend-Stromlücke konventionell gedeckt werden muss.

KW33

 
Ausgangsdaten der 33. KW 2022

2030 Ausbau der Regenerativen 68% KW33

 

Quelle

Am Samstag fast kein Wind, aber ganz viel Sonne. Sonntag mehr Wind, wenig Sonne. An beiden Tagen muss zwecks Bedarfsdeckung Strom konventionell hinzuerzeugt werden. Am Montag und Dienstag hingegen nicht. An diesen Tagen nur aus Netzstabilisierungsgründen. Am Freitag sind um 2:00 45 GW konventioneller Strom notwendig, um den Bedarf zu decken.

2040 Ausbau der Regenerativen 86% KW33

 

Quelle

Der weitere, massive Ausbau der Regenerativen verschärft das Problem des Strom-Erzeugungs-Ungleichgewichtes. Während über Tag wegen der insgesamt sehr hohen PV-Stromerzeugung viel zu viel Strom im Markt ist, entstehen in der Nacht und mit nur wenig Wind, enorme Lücken. In der bereits erwähnten Freitagnacht fehlen um 2:00 Uhr von benötigten 70 GW 50 GW Strom, die konventionell erzeugt werden müssen. Das der Strompreis über Tag in den Keller fällt, ist so gut wie sicher. Zumal die 20% konventioneller Strom zur Netzstabilisierung hinzukommen.

KW47

 
Ausgangsdaten der 47. KW 2021

2030 Ausbau der Regenerativen 68% KW47

 

Quelle

Es herrscht praktisch eine „moderate Dunkelflaute“. Wenig PV-Strom und ein recht geringes Windaufkommen führen zur permanenten konventionellen Stromerzeugung. In der Spitze sind es wieder über 50 GW. Bemerkenswert ist, dass zu einigen Stunden der prognostizierte Strombedarf im Jahr 2030 geringer ist als der aktuelle.

2040 Ausbau der Regenerativen 86% KW47

 

Quelle

An keinem Tag dieser Woche reicht die regenerative Stromerzeugung auch nur eine Stunde aus, um den prognostizierten Strombedarf Deutschlands zu decken. Trotz des hohen Ausbaugrades von 86%. Jeden Tag muss Strom konventionell hinzu erzeugt werden. zum Teil auch wieder über 50 GW.

Fazit

 
Es ist bemerkenswert, dass die Institute und auch eine Bundesnetzagentur die Daten liefern, die belegen, dass die Energiewende, so sie denn wie bei Agora Energiewende fortgeschrieben und prognostiziert wird, weder in der Zielsetzung (Null CO2) noch ökonomisch sinnvoll ist. Von Vorbildcharakter kann kaum die Rede sein, wenn ein teurer Backup-Gaskraftwerkspark plus Brennstoffe bevorratet werden muss, wenn das Ziel, CO2 einzusparen nur mit Taschenspielertricks (zum Beispiel sei ein E-Auto CO2-neutral), mit einer sagenhaften Verschandelung schöner Landschaften (zum Beispiel Eifel, Reinhardswald, Schwarzwald aber auch Küsten und Meereshorizonte), Abdeckung von riesigen Flächen durch PV-Anlagen, mit Schädigung der Meeresflora und -fauna (Off-shore Windkraftanlagen), vor allem aber nur mit gewaltigen Ausgaben im hunderte Milliardenbereich und mehr zu erreichen ist. Wenn tatsächlich 86% regenerativ erzeugter Strom nach den Vorgaben und den Bedarfsprognosen von Agora-Energiewende erzeugte werden wird, kommt es zu einer massiven Stromüberproduktion, die entweder den Ausbau ad absurdum (Abregelung) führt oder zu einem unglaublichen Preisverfall führt, wie dieser Chart belegt.

Quelle

Klicken Sie Quelle an und streichen Sie mit der Maus über den Chart. Sie werden sehen, dass immer noch Unmengen Strom konventionell erzeugt werden müssen, um den Bedarf zu decken. Die Ursache ist so einfach, dass sie auch ein Schüler Mittelstufe versteht. Weht wenig Wind, scheint keine Sonne, dann bringen auch noch so viele Anlagen wenig Strom. Die gleiche Anlagenmenge aber produziert bei viel Wind und starkem Sonnenschein über Tag viel zu viel Strom. Da Strom immer dann erzeugt werden muss, wenn er benötigt wird, und Speichermöglichkeiten im nötigen Umfang kaum zu realisieren sind, ist das Ganze ein praktisch aussichtsloses und vor allem teures Geschäft. Auch und gerade bei einem durchschnittlichen 100% -Ausbau der Regenerativen verschärft sich das Problem. Zur unpassenden Zeit wird viel zu viel Strom erzeugt. Zu anderen Zeiten fehlt der Strom. Das hat diese Untersuchung, die auf Datenannahmen (die vier beispielhaften Wochen, die Gegenwarts- und die Zukunftsdaten) von Agora-Energiewende beruht, unseres Erachtens eindrucksvoll gezeigt. Es ist sinnvoll, die 12 Thesen zur Energiewende, von denen hier praktisch nur zwei Thesen untersucht wurden, unter den oben gewonnenen Erkenntnissen zu betrachten. Auch ist es weiterführend, dass sich Unternehmen, Industrien und wissenschaftliche Einrichtungen an der weiteren Erforschung neuer Technologien, insbesondere auch im Strom-Speicherbereich und im weiten Feld der Kernenergie (zum Beispiel Dual Fluid) beteiligen. Nur so wird Fortschritt möglich.

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