Energiewende & Wasserstoff als Speichermedium/Betriebsstoff

16.05.2024 enexion

Wasserstoff ist ein Energieträger, der in der freien Natur ungebunden praktisch nicht vorkommt. Grüner Wasserstoff ist ein tertiärer Energieträger, der unter Verwendung von grünem Strom hergestellt werden muss. Die Herstellung von grünem Strom ist aufwendig. Um eine Menge Strom in der Größenordnung der Nennleistung einer Windkraftanlage zu ernten, sind mehr als vier solcher Anlagen nötig. Bei PV-Anlagen sind es acht bis zehn Anlagen. Selbstverständlich nur im Durchschnitt.

Im Rahmen der Energieversorgung soll Wasserstoff zum einen in diversen Formen als Betriebsstoff, zum anderen als Speichermedium verwendet werden. Gespeicherte Energie in Form von Wasserstoff soll dazu dienen, überschüssigen grünen Strom für Zeiten zu geringer grüner Stromerzeugung als Ausgleich zur Verfügung zu stellen. Der Gedanke ist sinnvoll. Vor allem im kurzfristigen Bereich wird aktuell über die Mittagszeit Strom überschüssiger Strom verschenkt. Ist das Angebot hoch, die Nachfrage aber sehr gering, kann es sogar zu negativen Strompreisen kommen.

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So geschehen am 1. Mai. Wegen des Feiertages ging die Stromnachfrage zurück. Das Wetter zeigte sich von seiner freundlichen Seite. Es war ein Bilderbuchtag mit Sonnenschein ohne Ende. Jedenfalls solange die Sonne auf die deutschen Solarpaneele schien. Von 9:00 bis 17:00 Uhr überstieg das Angebot an regenerativem Strom die Nachfrage so stark, dass der Strom um 9:00 Uhr nicht nur verschenkt, sondern von 10:00 bis 17:00 Uhr ein Bonus an die abnehmenden Länder gezahlt werden musste. Dieser betrug in der „Spitzenzeit“ von 13:00 und 14:00 Uhr 120€/MWh, was summa summarum knapp 300 Mio Bonuszahlungen verursachte. Diese Länder „kauften“ den Strom ein.

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Klicken Sie Quelle an und Sie erkennen, welche Länder wieviel Strom mit Bonus importierten. Am 1. Mai war Frankreich der Gewinner. Das Land importierte von 13:00 und 14:00 Uhr 11,4 GWh Gratisstrom und bekam zusätzlich 136,8 Mio € als Abnahmebonus überwiesen. Selbstverständlich zahlt das der Stromkunde. Einziger Trost ist die Tatsache, dass  Windmüller und Solarernter für den Negativpreis-Zeitraum keinerlei Vergütung erhalten.

Netzstabilisierung

 
Warum aber wird, zum, den Bedarf bei weitem übersteigenden regenerativ erzeugten Strom, zusätzlich konventioneller Strom (grauer Bereich im Chart ganz oben) erzeugt? Ein Stromnetz muss bestimmte Bedingungen erfüllen, damit es störungsfrei genutzt werden kann. Es muss eine „Momentanreserve“ geben. Es muss eine sogenannte „Blindleistung“ geben und die Netzfrequenz von 50 Hz darf nur in sehr geringem Umfang um diesen Wert schwanken. Sind diese Netzstabilisierungs-Bedingungen nicht erfüllt, kann das Stromnetz zusammenbrechen. Aktuell sind im notwendigen Umfang nur die großen Stromerzeugungsgeneratoren konventioneller Kraftwerke mit einer Rotationsgeschwindigkeit von 3.000 Umdrehungen pro Minute (50 pro Sekunde) in der Lage, das Netz stabil zu halten. Es wird zwar mittlerweile mit Hochdruck an anderen Lösungen gearbeitet. Diese allerdings sind technisch höchst aufwendig – wenn sie denn überhaupt sicher funktionieren – und werden nach unserer Schätzung einen zwei- bis dreistelligen Milliardenbetrag kosten. Von der Zeit, welche für die Umstellung benötigt wird, gar nicht zu reden. Erst jetzt, im Jahr 2024, hat TransnetBW die ersten Statcom-Anlagen – zentrale Bestandteile für  Umstellung des  gesamten bundesdeutschen Stromnetzes  für zwei Umspannwerke bestellt.

Stromspeicherung per Wasserstoff

 
Speicherung von überschüssigem, regenerativ erzeugtem Strom ist unabdingbar. Der Chart ganz oben belegt, dass Deutschland aktuell nicht in der Lage ist, den überschüssigen Strom vom Vortag, oder sogar vom gleichen Tag zur Deckung von Stromlücken zu verwenden. Lieber verschenkt man den Strom evtl. sogar mit Bonus, um etwas später Importstrom teuer einzukaufen.

Würde der überschüssige Strom in Wasserstoff gewandelt und bei Bedarf wieder in Strom transformiert, käme im Beispiel oben diese Rechnung zur Anwendung. Nach dem Bossel-Papier (2010)  gehen  etwa 75 Prozent der elektrischen Energie des aufwendig erzeugten grünen Stroms nicht in den aus Wasserstoff erzeugten Zweit-Strom (grüner Strom-Elektrolyse-Wasserstoff-Brennstoffzelle-grüner Zweit-Strom) ein. Am 1. Mai 2024 wurden von 9:00 bis 17:00 knapp 95 GWh Strom zum größten Teil mit Bonus (eine geschätzte halbe Milliarde €) verschenkt. Hätte man diese Strommenge per Elektrolyse in Wasserstoff gespeichert, stünden nach einer weiteren Transformation mittels Brennstoffzelle 23 GWh Strom zum Ausgleich allfälliger Stromlücken zur Verfügung. Diese Menge Strom aus dem Wasserstoffspeicher würde fast ausreichen, um den Importstrom (27,7 GWh) des Folgetages auf 4,7 GWh zu reduzieren. Dann allerdings stünde erstmal kein Speicherwasserstoff mehr zur Verfügung. Das ist das Problem aller Speicher: Sind sie leer, muss erst wieder eine Überschussphase zum Auffüllen kommen.

Es sieht angesichts des Starken PV-Ausbaus des vergangenen Jahres und eingedenk der in Zukunft gewünschten Zubauraten „PV-Anlagen“ so aus, dass es bereits in diesem Sommer nahezu wöchentlich, insbesondere an bedarfsarmen Tagen (Wochenende/Feiertage) zu hohen Stromübererzeugungen über die Mittagsspitze kommen wird. Ein Aufbau einer kurzfristig und regional begrenzten angelegten Speicher-Infrastruktur für Wasserstoff erscheint uns sinnvoll.

Wasserstoff als Betriebsmittel/Brennstoff

 
Wird hingegen nicht-überschüssiger grüner Strom dazu verwendet, mit Wasserstoff/grünem Zweit-Strom Nichtspeicher-Projekte, insbesondere im Verkehrsbereich zu betreiben, halten wir dies im Sinn einer CO2-Ersparnis nicht für zielführend. Rein wirtschaftlich mag das für den Projektierer ertragreich sein, doch im Sinn des Klimaschutzes ist es wenig sinnvoll. Der nicht-überschüssige grüne Strom steht immer nur einmal zur Verfügung. Wird er für ein Wasserstoffprojekt verwendet, fehlt er im allgemeinen Stromnetz. Dieser dort nunmehr fehlende Strom muss durch fossile Stromerzeugung ´ersetzt` werden. Bei 25 Prozent Zweit-Strom sind das 75 Prozent grüne elektrische Energie, die nicht im allgemeinen Stromnetz verwendet werden kann, sondern zum allergrößten Teil ungenutzt ´verloren` geht.

Das Verheizen von grünem Wasserstoff ist eingedenk des hohen Herstellungsaufwands in keinem Fall zu empfehlen. Erst dann, wenn überschüssiger grüner Strom in Hülle und Fülle vorhanden wäre, wäre eine Verwendung außerhalb des allgemeinen Stromnetzes sinnvoll.

Zum Schluss noch ein Wort zu den oben im Chart dargestellten Stromimporten. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Die deutschen Stromproduzenten wären jederzeit in der Lage, die Lücke zwischen dem regenerativ erzeugten Strom und dem jeweiligen Strombedarf konventionell zu schließen. Dass sie es nicht tun, ist in erster Linie ökonomisch-technisch begründet. Ein exakter Lückenschluss ist wegen der Volatilität des regenerativ erzeugten Stroms konventionell schwierig bis unmöglich. Um zum Beispiel die fast täglich auftretende Lücke beim Nachlassen der PV-Stromerzeugung zum Vorabend nachhaltig zu schließen, wäre eine höhere konventionelle Stromerzeugung bereits am Nachmittag notwendig. Das würde die Stromübererzeugung hochtreiben und die Preise drücken. Wird die Stromlücke hingegen wie am 2. Mai per Importstrom geschlossen, steigt in jedem Fall der Preis. Ein Preis, von dem alle Stromerzeuger profitieren. Weil der Strommarkt über Angebot und Nachfrage funktioniert, ist bei eine Nachfrage Deutschlands nach ausländischem Strom mit steigenden Preisen zu rechnen. Muss Deutschland hingegen seinen überschüssigen Strom exportieren, fallen die Strompreise. Die Charts oben belegen diesen Sachverhalt eindrucksvoll. Dass Deutschland dann Strom im Ausland einkaufen würde, wenn der Preis niedrig sei, ist widerlegt.

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