Energiewende & Heizungstechnologie Teil 1 – Fernwärme

05.07.2023 enexion

In den nächsten beiden Artikeln wird zum einen auf die aktuelle, bisher vollkommen vernachlässigte Komponente Fernwärme in der Novellierung des Gebäude-Energie-Gesetzes eingegangen. Wir werden dazu neben einem Einführungsvideo des ZDF vom 2.6.2023 ein Interview der Tageszeitung FAZ* mit dem Ingenieur Christoph Zeis, Geschäftsführer des kommunalen Energieunternehmens EDG in Nieder-Olm bei Mainz, zitieren und die Zitate kommentieren. Gleiches gilt für den nächsten Artikel. Dort wird ein Gespräch der FAZ mit dem Technikchef Gerdewan Jacobs des Wärmepumpenherstellers Wolf analysiert. Wir wählen diese Vorgehensweise, weil die bisherigen Artikel zur Wärmepumpe sinnvoll ergänzt werden. Bei der Fernwärme steigen wir sofort mit dem Einführungsvideo ein.

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Generell gilt Fernwärme als CO2-frei, wenn sie ein „Abfallprodukt“ zum Beispiel der Stromerzeugung in Großkraftwerken ist, und deshalb keine fossilen Energieträger extra zwecks Fernwärmeproduktion verbrannt werden. Aktuell werden die meisten Fernwärmenetze mit genau der Wärme, die bei der fossilen Stromproduktion anfällt, gespeist. Beispiel Aachen: „Das Braunkohlekraftwerk Weisweiler liefert laut den Stadtwerken Aachen (Stawag) heute nämlich 90 Prozent der Fernwärme im Netz Aachen-Weisweiler. Doch mit dem Kohleausstieg wird auch die Wärmelieferung aus Kohle enden müssen. Die Stawag nennt das Jahr 2030 als Ende der Kohle-Wärme.“ Also muss ein Ersatzenergieträger her. In Aachen, bereits die Römer liebten die heißen Quellen,  könnte das die Geothermie sein. Heißes Wasser aus tausenden Metern Tiefe, würde das Fernwärmesystem füllen. Ob das eine realistische Möglichkeit ist, wird aktuell erforscht. Bei einem Projekt an der RWTH Aachen musste die Erfahrung gemacht werden, dass Geothermie kein einfach zu bewerkstelligendes Unternehmen ist. Das Projekt wurde ´begraben`.

Klar ist: Fällt die fossile Stromerzeugung weg, fällt auch ein Großteil der als Fernwärme genutzten Abwärme weg. Immerhin: Das bestehende Fernwärmenetz steht weiter zur Verfügung und muss, wenn genügen Abnehmer gewonnen werden können, ausgebaut werden. Im Video oben hieß es, dass etwa vier Kilometer pro Jahr geschafft werden können. Das ist wahrscheinlich ein Durchschnittswert. In der Stadt wird es weniger, auf dem platten Land mehr sein. Eines aber ist sicher. Schnell mal eben ein Fernwärmenetz erstellen oder komplex erweitern, ist eine Utopie. Planen kann man viel, die Umsetzung der Pläne ist auch hier eine ganz andere Sache.

Fernwärme ist bis auf bestimmte Ausnahmen eine freiwillig zu nutzende Heizungstechnologie. Jeder Heizungsbesitzer muss zustimmen, ob er den Anschluss an ein Fernwärmenetz und die entstehenden Kosten tragen möchte. Ausnahme bilden Neubaugebiete. Dort kann der Anschluss verpflichtend gemacht werden. Wünscht der künftige Hausbesitzer den Anschluss nicht, wird ihm das Haus nicht verkauft. Wie wichtig dieser Sachverhalt ist, belegt der Titel des FAZplus* – Artikels.

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Unsere Kommentare zu den zitierten Abschnitten des Artikels sind in der Farbe Blau gehalten

Fernwärme kann eine kostengünstige Alternative zur Wärmepumpe sein. Doch die Vorbehalte der Hausbesitzer sind oft groß. Ein Mann aus der Praxis berichtet.

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Herr Zeis, Sie sind Chef eines Energieversorgers im ländlichen Raum. Finden Sie es eine gute Idee, dass die Bundesregierung nun den Ausbau der Fernwärme als Alternative zur Wärmepumpe forcieren will?

Fernwärme ist eine sinnvolle Alternative in den Kernbereichen von Städten und Gemeinden. Fernwärmenetze kann man sehr technologieoffen bauen, etwa auf Basis der Kraft-Wärme-Kopplung. In lokalen Blockheizkraftwerken wird dann Wärme für die angeschlossenen Gebäude produziert und gleichzeitig Strom. Das ist mit Blick auf die Effizienz unübertroffen.

Das Problem der Abschaltung der fossilen Stromproduktion wurde bereits oben angerissen.

Fernwärme gibt es vor allem in großen Städten mit dichter Besiedlung. Funktioniert sie auch auf dem Land?

Ja, Fernwärme kann auch auf dem Land funktionieren. Wir sind ein kommunales Energieunternehmen in Rheinhessen, südlich von Mainz. Zu unserer Region zählen drei Landkreise mit zusammen rund 550.000 Einwohnern, darunter viele Dörfer und Kleinstädte. Wir betreiben in sieben Neubaugebieten Wärmenetze, für die übrigens ein Anschlusszwang galt. Wer dort baute, der war verpflichtet, sein Haus an das Wärmenetz anzuschließen.

Die ´einfachste` Möglichkeit ist sicher die Versorgung von Neubaugebieten mit Fernwärme. Abschlusszwang und gleichzeitige Erstellung des Netzes mit der übrigen Infrastruktur machen Fernwärmeversorgung verhältnismäßig unproblematisch. Wenn denn die Wärme tatsächlich regenerativ – da liegt eine große Hürde – hergestellt wird, ist sie sogar klimaneutral. 

Ist Fernwärme für Hausbesitzer kostengünstiger als die Wärmepumpe?

Der Anschluss an ein Wärmenetz und die notwendige Anlage im Keller, die sogenannte Übergabestation, kosten für ein typisches Einfamilienhaus aktuell rund 16.000 Euro. Davon geht noch die staatliche Förderung ab. Wenn das Wärmenetz eine Ölheizung ersetzt, erhalten sie bis zu 40 Prozent der Kosten vom Staat. Im derzeit überhitzten Markt sind Wärmepumpen in der Regel deutlich teurer.

Ein Vorteil der Fernwärme, wenn sie zur Verfügung steht, liegt bei Bestandsgebäuden in der Möglichkeit, die bisherige Haus-Heizungsinfrastruktur weiter zu verwenden.

Werden Bestandsbauten neu angeschlossen werden, fallen mit Sicherheit auch Gebühren für die Erstellung des Fernwärmenetzes und der „Wärmekraftwerke“ an, die mit Sicherheit regenerativ betrieben werden sollen. Das können auch Großelektrolyseure sein. Das allerdings ist Zukunftsmusik. Wie vieles im Bereich der Energiewende. Man denke nur an die geplante Ladeinfrastruktur für Elektromobilität. Wie gesagt kann man viel planen. Man muss auch die finden, die es machen. 

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Ihr Unternehmen hat schon mal ein Fernwärmenetz in einem älteren Wohngebiet verlegt?

Ja, haben wir. Das war in einem Dorf mit rund 160 Häusern, wo die meisten bis dahin Ölheizungen hatten. Das war mühsam, wir mussten um jeden einzelnen Hausbesitzer kämpfen. Ich spreche da immer vom „Häuserkampf“. Bei unserem Projekt gelang das, weil es eine sehr hohe staatliche Förderung gab.

Das sind die Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn eine Gesellschaft frei ist und eben nicht irgendwelchen Planungszwängen unterliegt. Kein Wunder also, dass bei den nächsten Fragen der „Anschlusszwang“ und dessen „Durchsetzung“ in den Vordergrund rückt. Wäre das noch eine freie Marktwirtschaft? 

[…]

Was sind die häufigsten Vorbehalte der Leute gegen den Wechsel zur Fernwärme?

Das größte Problem ist im ländlichen Raum die Demographie. Häufig wohnen dort ältere Leute, die sagen dann: Ich bin 70, die Kinder sind aus dem Haus, meine Ölheizung funktioniert gut, die wird mich mal überleben. Warum soll ich also umsteigen? Und dann hören wir oft das Argument, dass sich die Leute nicht abhängig machen wollen von einem Fernwärmelieferanten. Aber Abhängigkeiten entstehen doch immer langfristig, wenn man sich für ein Heizsystem entscheidet.

Die Angst vor Abhängigkeiten, die Sorge um den Verlust von Freiheit – egal ob begründet oder nicht – treibt die Menschen um. Nicht frei entscheiden zu können, ist für viele, nicht nur ältere Menschen ein Albtraum. Darin liegen auch die Widerstände gegen das sogenannte Heizungsgesetz von Robert Habeck begründet. Eine Gesetzesnovelle, die bis zur Verfassung dieses Artikels am 29.6.2023 noch nicht mal als Gesetzentwurf aktuell, alle Durchbrüche der Ampel enthält, vorlag. Bereits am Montag, den 3.7.2023 soll die Experten-Anhörung im Bundestag stattfinden. Wann sollen die sich vorbereiten? 

[…]

Die Bundesregierung will, dass alle Städte und Gemeinden in Deutschland bis 2028 Pläne aufstellen, welche ihrer Wohngebiete in Zukunft Fernwärme bekommen und welche nicht. Halten Sie das für erreichbar?

Da werden wir an Grenzen stoßen. Im ländlichen Raum haben Kommunen oft kein eigenes Stadtwerk. Die können deshalb die vorgeschriebene Wärmeplanung in der Regel nicht selbst machen und brauchen externe Institute und qualifizierte Planungsbüros. Von denen gibt es aber nicht so viele. Die Planungskapazitäten werden also zum Engpass werden. Das wird auch bei uns in Rheinhessen eine Riesenherausforderung.

Die Grenzen der Planung. Von der Umsetzung ist noch gar nicht die Rede. 

[…]

Die Deutschen mögen keine Fern­­wärme?

So pauschal kann man das nicht sagen. Aber in unserer langjährigen Erfahrung ist es uns in vielen Projekten in der Region oft nicht gelungen, die Leute von der Fernwärme zu überzeugen. Wenn wir in zehn Wohngebieten Wärmenetze konzipiert haben, dann hat es in einem davon geklappt. In den realisierten Fernwärmenetzen indes haben wir weder technische noch preisliche Akzeptanzprobleme.

Bemerkenswerte Aussage.  

Fernwärme wird von der Regierung als klimaschonend klassifiziert, obwohl die Wärme derzeit noch großteils mit fossilen Brennstoffen erzeugt wird. Ist das nicht Greenwashing?

Dann sind elektrische Wärmepumpen auch Greenwashing. Denn wir haben ja auch weiter viel fossilen Strom aus Erdgas- und Kohlekraftwerken im Netz, insbesondere in der Heizperiode von Oktober bis März. Gleichwohl haben Sie recht: Die Fernwärmeversorgung muss schnell grüner werden.

Das oben angesprochene Problem wird hier noch mal deutlich. Der größte Teil der aktuellen Fernwärmeversorgung fällt mit den Abschaltungen fossiler Kraftwerke weg. Dann kommt es zur Planung der heute geplanten Planung. Bertold Brecht meint süffisant: »Ja, mach nur einen Plan! Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch ’nen zweiten Plan, gehn tun sie beide nicht.« Quelle

Das schwant auch dem Experten Zeis bei der Beantwortung der nächsten Frage.

Bis 2030 soll die Hälfte der Wärme in den Fernwärmenetzen aus erneuerbaren Energien stammen. Ist das ­erreichbar?

In unseren Wärmenetzen hier in der ­Region sind wir zwar im Schnitt schon bei 70 Prozent Erneuerbaren. Aber ­bundesweit halte ich das bis 2030 für außerordentlich anspruchsvoll.

Kurz: Das wird nichts! Bei der Beantwortung der letzten Frage wird der Ingenieur Zeis philosophisch. Bei der Frage nach dem Heizen mit klimaschonendem grünem oder blauem Wasserstoff. 

Wenn die Wärmepumpe schwierig ist und ein Fernwärmenetz zu bauen auch, sollten wir dann doch stärker auf das Heizen mit Klima schonendem grünen oder blauen Wasserstoff setzen, wie es die FDP fordert?

Es gibt einen Unterschied zwischen Visionen und Utopien. Visionen können verwirklicht werden, Utopien nicht. Und das Heizen mit Wasserstoff im großen Stil halte ich in Deutschland in diesem Sinne für utopisch. Das mag in manchen Fällen funktionieren, wenn ein Wohngebiet etwa in der Nähe eines Industriebetriebes liegt, der ohnehin einen Anschluss an ein Wasserstoffnetz bekommt. Dann können wir dort mittels Wasserstoff-Blockheizkraftwerken ein Fernwärmenetz betreiben. Aber das wird ein Nischenphänomen bleiben.

Ingenieur Zeis ahnt, dass Heizen mit Wasserstoff eine große Schimäre ist. Zumal der mit grünem Strom hergestellte Wasserstoff noch lange Zeit, wahrscheinlich Jahrzehnte mehr CO2-Ausstoß verursachen wird, als er einspart, grüner Wasserstoff also kontraproduktiv ist. Blauer Wasserstoff zum Heizen ist gleichfalls wenig sinnvoll. Das liegt vor allem an der geringen Heiz-Energieausbeute und effektiveren Anwendungsmöglichkeiten, zum Beispiel in der Luftfahrt oder im LKW-Verkehr.

Sinnvoll hingegen wäre die Aufrüstung von Steinkohle-, vor allem aber Braunkohlekraftwerken mit dem CCS-Verfahren. Es wird weiter Strom und Abwärme erzeugt. Das abgeschiedene CO2 wird in weiteren technisch-industriellen Prozessen verwendet oder unterirdisch gelagert. Weil CO2 schwerer als Luft ist, , ist die Wahrscheinlichkeit, dass es wieder an die Erdoberfläche gelangt oder andere schädliche Auswirkungen hat, ist – geeignete Lagerorte vorausgesetzt – unseres Erachtens gering. Diese Verfahrensweise ist sehr viel kostengünstiger als die Installation von zigtausenden Windkraftanlagen und Millionen PV-Quadratmetern, die nach etwa 20 Jahren Betriebsdauer immer wieder ersetzt werden müssen. Windkraftanlagen sind alles andere als umweltfreundlich. Flora, Fauna und Menschen leiden, die Landschaft wird verschandelt und mit Stahlbeton in erheblichen Mengen dauerhaft kontaminiert.

Die CO2-ärmste Methode Energie in Form von elektrischem Strom plus Abwärme verfügbar zu machen, bietet Kernenergie. Selbstverständlich fällt beim Bau von Kernkraftwerken und dem Abbau von Uran plus Transport usw. CO2 an. Der eigentliche Transformationsprozess Kernenergie – elektrische Energie – Abwärme im Kernkraftwerk ist hingegen nahezu CO2-frei. Eine CO2-Lagerung fällt nicht an. Der sogenannte Atommüll wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in neuen Kraftwerksgenerationen weiter als Energieträger verwertet werden können. Leider hat sich Deutschland aus unerfindlich-angstgesteuerten Gründen komplett aus Forschung und Entwicklung in Sachen Kernenergie verabschiedet, so dass innovative Konzepte, zum Beispiel der Dual Fluid Reaktor im Ausland weiterentwickelt und realisiert werden.

*Interviewpartner von Christoph Zeis ist Marcus Theurer, Redakteur in der Wirtschaftsredaktion  der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, Wir danken der FAZ, dass sie zeitgeschichtlich relevante Interviews wie das mit Herrn Zeis führt. Wir empfehlen FAZplus ausdrücklich. Es besteht die Möglichkeit ein günstiges  Probe-Abonnement zu zeichnen. Dieser enexion-Artikel wird nicht kommerziell verwendet. Er dient der kostenfreien Information der Allgemeinheit in Sachen Heizungstechnologien.

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