Energiewende/Energiekrise und ´Lösungen` der Bundesregierung

24.10.2022 enexion

Bundeskanzler Scholz hat Robert Habeck und Christian Lindner per Brief mitgeteilt, dass er von seiner Richtlinienkompetenz gebraucht macht und den Weiterbetrieb aller drei noch am Netz befindlichen Kernkraftwerke bis zum 15. April 2023 verfügt. Die Tatsache, dass sowohl Lindner als auch Habeck praktisch umgehend auf diese Linie einschwenkten, dass aus dem Hause Habeck umgehend ein entsprechender Gesetzentwurf präsentiert wurde, lässt den Eindruck aufkommen, dass es sich um eine abgesprochene, eine inszenierte Aktion handelte. Wobei anzumerken ist, dass der Bundeskanzler im Rahmen des Verfassungsorgans ´Bundesregierung` lt. Grundgesetz Artikel 65 die Richtlinienkompetenz generell besitzt: „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung. Über Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bundesministern entscheidet die Bundesregierung. Der Bundeskanzler leitet ihre Geschäfte nach einer von der Bundesregierung beschlossenen und vom Bundespräsidenten genehmigten Geschäftsordnung.“ Die Idee, dass der Bundeskanzler lediglich zeitweise seine Richtlinienkompetenz ausübt und auch nur dann, wenn er es ausdrücklich sagt oder schreibt, ist unseres Erachtens ein Hinweis auf eine gewisse Führungsschwäche. Der Bundeskanzler hat faktisch und ausdrücklich die Pflicht den Rahmen vorzugeben, in dem die Minister selbständig agieren können. Das gilt insbesondere in aktuellen Krisenzeiten. Der Weiterbetrieb der Kernkraftwerke ist keine parteipolitische Frage, sondern eine Notwendigkeit, die die Netzbetreiber bei der Pressekonferenz zum Stresstest ausdrücklich empfohlen haben. Die Frage, warum am 15. April 2023 die Kernkraftwerke nicht mehr benötigt werden, beantwortet Olaf Scholz in einem WELTplus-Interview mehr als dürftig: „Am 15. April 2023 ist endgültig Schluss – dann sind die verbliebenen Brennelemente auch durch. Mit den neuen Importkapazitäten für Gas und den Kohlekraftwerken verfügen wir dann über viel mehr Leistung im Netz. Strukturell bleiben wir auf dem Pfad zur Klimaneutralität. Das bedeutet: massiver Ausbau der erneuerbaren Energien, also Windkraft und Sonnenenergie, und neue Möglichkeiten zur Elektrolyse, um Wasserstoff herzustellen, sowie eine Import-Infrastruktur für Wasserstoff.“ Bis zum 15. April 2023?

Ist das zu schaffen?

 

Direkt und ohne Umschweife lautet unsere Antwort: Nein, das ist nicht zu schaffen! Gründe für unsere eindeutige Antwort:

Die drei Kohlekraftwerksblöcke im Rheinland haben eine Nettoleistung von knapp 900 MW. Der Zubau von Wind- und PV-Anlagen bis zum 15. April 2023 darf vernachlässigt werden. Auch unter dem Aspekt, dass Windkraft-Altanlagen rückgebaut werden. Bleibt die bis zum 15. April hinzugekommene Infrastruktur Gas. Die müsste zusätzliches Gas liefern, um Kraftwerke mit einer Leistung von gut 3.200 MW zu befeuern. Die Kernkraftwerke, die im April kommenden Jahres, in knapp sechs Monaten vom Netz genommen werden, bringen 4.210 MW auf die Stromerzeugungswaage. Die Tatsache, dass Kohle- und Gasverstromung im Gegensatz zur Kernkraft enorme Mengen CO2 erzeugt, lässt Kanzler Scholz, obwohl er ein Anhänger der Energiewende ist, kalt. Kernenergie muss weg: „Ich erinnere nur an Tschernobyl, Fukushima und die nie gelöste Endlagerfrage.“ Das sind Gründe, die praktisch nur in Deutschland so wirken, dass ein Komplettausstieg aus der Kernenergie möglich ist und ohne Wenn und Aber durchgezogen wird. Selbst Japan baut trotz Fukushima weiter auf Kernkraft. Nur für rückwärtsgewandte Industriegesellschaften – de facto nur Deutschland – sind Rückstände aus der Kernenergieverstromung „Atommüll“. Für fortschrittliche Länder, praktisch der Rest der Industriewelt, sind es Rohstoffe für moderne Kernkraftwerke der nächsten Generationen. Das Abschalten der drei deutschen Kernkraftwerke Mitte April 2023 hat in jedem Fall einen erheblichen CO2-Anstieg plus Strompreisanstieg wegen der künstlichen Verknappung von Strom in Deutschland zur Folge und wird das Land weiter in einer Energie-Krisenlage nicht nur halten, sondern diese womöglich verschärfen, weil es, wie oben gezeigt, durchaus nicht sicher ist, ob genügend fossile Energieträger zu annehmbaren Preisen zwecks Verstromung zur Verfügung stehen. Auch hier gilt: Ist das Angebot knapp und der Bedarf groß, steigt der Preis. Genau in diese Lage manövriert die Bundesregierung Deutschland.

Im Zusammenhang mit der Wiederinbetriebnahme der drei bereits erwähnten Braunkohleblöcke soll gesetzlich festgelegt werden, dass der Kohlausstieg Deutschlands komplett bis zum Jahr 2030 erfolgen muss. Die Regierung, Kanzler Scholz, Klimaminister Habeck und Finanzminister Lindner verfahren nach dem Motto: ´2030 – das ist noch richtig lange hin. Bis dahin haben wir ganz viele Gaskraftwerke und ganz viele erneuerbare Stromerzeugungsanlagen plus Wasserstoffelektrolyseure gebaut. Wenn dann doch Energie fehlt, importieren wir grünen Wasserstoff. Wie kürzlich in Hamburg:

In Hamburg wurde die erste Lieferung Wasserstoff aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VEA) angeliefert.` Und in der Tat, ZEITonline und andere Medien berichten von dem ´Durchbruch`: „Mit dem symbolischen Öffnen eines Gashahns hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auf dem Gelände des Hamburger Kupferherstellers Aurubis die erste Wasserstoff-Testlieferung aus den Vereinigten Arabischen Emiraten in Empfang genommen. Sie bildet den Auftakt für weitere Lieferungen, die Habeck im Frühjahr bei einer Reise in die Golfstaaten vereinbart hatte. ´Wir müssen jetzt mehr denn je den Hochlauf von Wasserstoff voranbringen`, sagte Habeck, der zusammen mit dem Industrieminister der Emirate, Sultan Al Jaber, und Hamburgs Erstem Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) zu Aurubis gekommen war. […]“ Weiter unten rückt ZEITonline dann mit der technischen Wirklichkeit heraus: „Bei der ersten Testlieferung aus den VAE handelt es sich noch um sogenannten blauen Wasserstoff, der nicht wie der ´grüne` mittels erneuerbarer Energie erzeugt wird, sondern mit Erdgas.“ Was ist von solch einer (Informations-) Politik zu halten? Glaubt einer der verantwortlichen Politiker, glauben Olaf Scholz und Robert Habeck, die Scharade würde Experten nicht auffallen? Der normale Bürger allerdings glaubt, die Energiewende sei auf einem guten Weg.

Dabei hat blauer Wasserstoff, obwohl er mit Erdgas erzeugt wird, durchaus eine CO2-reduzierte Eigenschaft. Das bei der Wasserstoffherstellung entstehende CO2 wird aufgefangen und unterirdisch eingelagert. Weil CO2 schwerer ist als Luft, kommt bei sachgerechter Speicherung ein Austritt des CO2 an die Erdoberfläche praktisch nicht vor. Dennoch wird in Deutschland dieses Verfahren insbesondere von Umweltschützern/Grünen verteufelt und nicht angewendet. Das ist bedauerlich, denn man könnte lange Transportwege und energieintensive Umwandlungsprozesse (Ammoniak hin und her) sparen. Bei einem tertiären Energieträger (H2) kostet die Transformation Strom-Wasserstoff – Strom bereits ohne sonstige ´Umwege` bereits gut 70% der ursprünglich eingesetzten Energie.

Grüner Wasserstoff, der vollständig mit Strom, der zum Beispiel mittels Windkraft hergestellt wird, hat zusätzlich zum Strom – Wasserstoff – Strom – Prozess noch eine weitere ´Energiefalle`. Windkraftanlagen (WKA) on- und offshore liefern in Deutschland lediglich eine Menge Strom, die im Durchschnitt einem Viertel der Nennleistung einer WKA entspricht. Was bedeutet, dass vier dieser Anlagen installiert werden müssen, um einmal die Menge Strom gemäß Nennleistung einer Anlage zu ´ernten`. Und das auch nur im Durchschnitt eines Jahres. Wegen der Schwankungen des Windes ist die Stromerzeugung niemals regel- oder gleichmäßig. Was die Wasserstoffherstellung erschwert. Elektrolyseure benötigen gleichmäßig fließenden Strom. Sonst verschleißen sie vorzeitig.

Bei Photovoltaikanlagen (PV-Anlagen) ist der Aufwand doppelt so hoch. 12 Stunden am Tag scheint im Jahresdurchschnitt keine Sonne plus die Einstrahlungsschwankungen, die wetterbedingt sind.  Deshalb ist in Deutschland die achtfache Nennleistung zu installieren, um einmal die Nennleistung einer Solarpaneele an Strom zu erzielen. Und das ebenfalls nur unregelmäßig.

Ganz anders ein Kernkraftwerk. Das produziert regelmäßig und gleichmäßig Strom in Höhe von bis zu 90% und mehr seiner Nennleistung. Mit der praktischen CO2-Freiheit ist Kernkraftwerksstrom sehr gut zur Wasserstoffherstellung geeignet. Auch fossile Kraftwerke haben eine hohe Stromausbeute, die darüber hinaus über die Brennstoffzufuhr gezielt gesteuert werden kann. Am flexibelsten sind Gaskraftwerke. Doch auch moderne Kohlekraftwerke sind heute gut handhabbar. Praktisch von einer Minute auf die andere liefern oder stoppen Pumpspeicherkraftwerke Strom. Sie gleichen zuvorderst die Schwankungsspitzen, welche in erster Linie durch die regenerative Stromerzeugung erzeugt werden, aus.

Welche Länder kaufen Strom aus Deutschland? Woher bezieht Deutschland benötigten Strom?

 

Robert Habeck sagt es ausdrücklich, Kanzler Scholz deutet es an: Frankreich hat Probleme mit seinen Kernkraftwerken. Deshalb müsse Deutschland aushelfen und Frankreich mit Strom beliefern. Das hört sich so an, als ob ohne deutsche Stromlieferungen in Frankreich der Blackout vor der Tür stünde.

Fakt ist, dass Deutschland aus Schweden (auch Strom aus Kernkraft), Dänemark und Norwegen  fast ausschließlich Strom importiert. Wenn in diese Länder exportiert wird, exportiert wird,  sind es die niedrigen Preise, die die Nordländer zum Kauf veranlassen. Trotz der angeblich so starken und überschüssigen Windstrom- Erzeugung in Norddeutschland. Aus den drei Nordländern importiert Deutschland mehr Strom, als Deutschland nach Frankreich exportiert. Deshalb sind insbesondere Aussagen des Kanzlers, des Klimaministers problematisch. Der Stromhandel ist ein höchst komplexer Vorgang mit zum Teil sehr kleinen Zeitfenstern, der differenziert betrachtet werden muss und keinesfalls politische Implikationen enthalten darf. Der nächste Artikel wird als „Sonderausgabe: Deutschlands Stromimport & Stromexport“ eine solch differenzierte Betrachtung liefern. Hier kann sie nur angedeutet werden.

Der Sachverhalt, dass Hamburg nach dem Abschalten des hochmodernen Steinkohlekraftwerks Moorburg weiterhin in erster Linie mit fossil erzeugtem Strom –  jetzt aus der Lausitz, Braunkohlestrom –  versorgt wird, verwundert.  Strom, der allein schon wegen der höheren ´Netzentgelte = weite Wege` teurer ist als zu Zeiten, wo Moorburg noch am Netz war. Überhaupt fragen wir uns, warum das Bundesland, die Großstadt Hamburg nicht mit dem angeblich doch so reichlich im Norden vorhandenen Windstrom versorgt wird. Liegt es daran, dass Hamburg eine auswärtige Insel im Versorgungsgebiet des Netzbetreibers 50Hertz ist? Werden wirtschaftliche Interessen vor den Klimaschutz, was immer das sein mag, gestellt?

Fakt ist auch, dass Hamburg Spitzenreiter in Sachen E-Mobilität ist. Fakt ist ebenso, dass die Elektrofahrzeuge mit fossil erzeugtem Strom betankt werden. Daran ändert auch die Werbung zum Beispiel des Versorgers Hamburgenergie nichts, der über Zertifizierungen 100% Ökostrom verspricht. Mit der gleichen Verfahrensweise könnte ein Kohlekraftwerk 100% Ökostrom erzeugen. Auf dem Papier. Denn das CO2 fällt an. Praktisch CO2-freier Strom, zum Beispiel aus Norwegen, der in großem Umfang für derartige Zertifizierungen genutzt wird, kommt wie oben zu sehen, tatsächlich teilweise nach Deutschland. Der norwegische Strom wird von Deutschland zu enormen Preisen gekauft und macht die „Batterie Deutschlands“ zu einem lukrativen Geschäft – für Norwegen. Dieser Strom landet aber keinesfalls im Tank der Hamburger Elektromobile. Der Tankstrom ist und bleibt zum größten Teil fossiler Strom aus der Lausitz.

Frankreich importiert Strom aus Deutschland. Die Strom-Menge entspricht netto in etwa der möglichen Stromerzeugung eines Kernkraftwerks mit 1,4 GW Leistung. Man muss wissen, dass der Stromexport Deutschlands generell aus fossil erzeugtem Strom besteht, der vor allem wegen der rein technisch unmöglichen ´Passgenauigkeit` beim Ergänzen der volatilen Stromerzeugung per Windkraft- und PV-Anlagen über Bedarf produziert wird. Das belegt der im Verhältnis zum Importpreis wesentlich geringere Stromexportpreis. Der Export aus Deutschland bedarf keiner gesonderten Stromerzeugung speziell für ein Land. Es fällt insgesamt ´automatisch` viel überschüssiger Strom an, der den Preis drückt.  Manchmal allerdings lohnt sich die komplette Deckung von Stromversorgungslücken für die Fossil- Stromerzeuger in Deutschland rein ökonomisch nicht. Das ist im Zeitraum begründet, in denen nicht genügend Strom zur Verfügung steht. Um zum Beispiel die oft vorhandene Vorabendlücke fossil zu schließen, müsste noch zu Zeiten starker PV-Stromerzeugung zusätzlicher fossiler Strom erzeugt werden. Das hätte einen noch stärkeren Preisverfall zur Folge. Dieser Chart verdeutlicht den Sachverhalt. Für diese zum Beispiel diese Fälle benötigt Deutschland Strom von seinen Nachbarn. Das ´benötigt`, die Nachfrage des Industrielandes Deutschland nach Strom, steigert selbstverständlich den Preis. Den so entstehenden, diesen hohen Preis erhalten nicht nur die ausländischen Stromexporteure, sondern auch die deutschen Stromerzeuger. Das ist für alle ein gutes Geschäft. Außer für den Stromkunden. Der zahlt immer.

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